Page - 136 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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ist architektonisch hervorragend, meist sind es nur einstöckige Häuser ohne
Schmuck, in denen unten der Laden offensteht. Aber dieses Offenstehen der
Läden, die nicht durch Tür oder Glas den Blick auf das Innere verwehren,
macht jedes dieser Geschäfte zu einem Genrebild. Da sitzt in einem Winkel
mit drei Gesellen der Schuster und nagelt die Schuhe, da ist ein GemĂĽseladen,
ein Kranz von Bananen wölbt sich als Stillleben um die ganze Tür, Zwiebeln
schaukeln sich in langen Kränzen, Melonen zeigen farbig ihre
aufgeschnittenen Flächen, Tomaten häufen sich zu roten Bergen. Nebenan
eine Apotheke, eine Drogerie, hundert Flaschen blitzen, ein Weinkeller tut
sich auf, ein schwarzer Raseur schäumt seine Kunden ein, ein Korbflechter
flickt Sessel. Dort arbeitet der Schreiner, hier schlachtet der Metzger, im Hofe
waschen und wringen die Frauen, hier lockt, mit tausend Losen beklebt, ein
Laden zur Lotterie, der Notar schreibt in seinem offenen Kontor halb auf der
Straße – alles kann man hier in Arbeit sehen, und wo man ein Volk bei der
Arbeit sieht, blickt man in sein wirkliches Leben hinein. Man sieht, wie die
Menschen wohnen, das schlichte Eisenbett hinter der Werkstatt, nur durch
einen Vorhang getrennt, man sieht, wie sie essen, wie sie jede Stunde
verbringen. Nichts ist verborgen, verdeckt und nichts maschinisiert,
standardisiert. Und wieviel gibt es hier zu sehen, wie vielerlei, denn in
Brasilien wirkt noch das alte Handwerk, das in Europa und Amerika
allmählich ausstirbt, unerschütterlich weiter. Auf einem Spaziergang kann
man alle Metiers durch Zuschauen lernen – alles ist hier so herrlich
geheimnislos und alles zugleich wunderbar farbig; da der Neger, dort der
WeiĂźe, dort der Mestize und alle in ihren hellen Leinenkleidern und die
Frauen in bunten Farben und all dies noch zehnfach funkelnd in diesem
einzigen strahlenden Sonnenglast. Und dann die Cafés – wie viele Cafés? Wer
kann sie zählen, an jeder Ecke ist eines, und es ist ein ewiges Aus und Ein bis
spät in die Nacht. Dann funkeln und leuchten, gegen die große Dunkelheit der
Häuser gestellt, diese schattigen Gelasse wie schimmernde Höhlen, belebt bis
tief in die Nacht; denn in dieser vitalsten Stadt geht das Leben immer weiter,
die StraĂźenbahnen fahren ununterbrochen, und um fĂĽnf Uhr morgens sieht
man schon die ersten Badenden am Strand. Wieviel Leben in diesen tausend
Gassen und wieviel kommendes, werdendes Leben – überall Kinder, Kinder
in allen Farben und Mischungen, und all dieser Tumult von Farbe und
Bewegung – dies das typisch Brasilianische – gleichzeitig gedämpft durch
eine stille Freundlichkeit, ein gutes Miteinandersein; wo immer man wandert
und bis in die verlassensten und ärmsten Bezirke, überall begegnet man der
gleichen Courtoisie. Auch wo die Häuser schon zu Hütten werden und die
Gassen sich zwischen Felsen und GrĂĽn verlieren, hat man das GefĂĽhl, daĂź
diese Menschen dank einer eingeborenen GenĂĽgsamkeit auch mit diesem
Wenigsten zufrieden sind.
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Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen StraĂźen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf SĂŁo Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug ĂĽber den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197