Page - 146 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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ausgebreitet das steinerne und grüne Gewirr zu sehen, in dem man lebt? Es
wird einem leicht gemacht, denn der Corcovado, der 700 Meter hoch sich
über – oder eigentlich inmitten – der Stadt erhebt und sein nachts elektrisch
erhelltes Kreuz mit großartiger Geste segnend über die ganze Bucht von
Guanabara hebt, ist nicht einmal ein Ausflug zu nennen; in zwanzig Minuten
klettert ein Auto die scharfen Kurven auf den beschatteten Wegen hinan bis
zum Gipfel. Und hier tut ein unvergeßliches Panorama sich auf. Endlich,
endlich überschaut man die ganze Stadt mit ihrer Bucht, ihren Bergen und
Seen, ihren Inseln und Schiffen, ihren Häusern und ihrem Strand! Endlich
sieht man, mit blauen, grünen, weißen Linien gezeichnet, den Grundriß ihrer
Anlage und gleichzeitig ihre Mächtigkeit. Vom Wind umbraust, an die
Riesenstatue des Redentor gelehnt, umfaßt man die ganze Vista; es ist
wahrhaftig der Blick aller Blicke und doch unfotografierbar wie alles in Rio,
weil zu groß in seinen Perspektiven ausgespannt. Denn überall ist Blick, zur
Rechten, zur Linken, nach Ost und West und Nord und Süd, da das Meer, ins
Unendliche blauend, dort die Bergkette von Teresópolis, da das flache Land
und der Strand und die Bucht und die Stadt; jetzt erst begreift man die
einzigartige Kombination aus dieser Höhe des Vogelflugs.
Und doch ist der Corcovado bloß einer unter den Gipfeln und der
beliebteste nur, weil für die Touristen durch Bahn und Autostraße so bequem
zugänglich gemacht. Wie viele Wege noch auf diesen Bergen und Hügeln,
wieviel Ausblicke auf jedem, der Blick von Boa Vista, vom Pico da Tijuca,
von der Mesa do Imperador, von der Vista Chinesa, von Santa Teresa; von all
den namenlosen Winkeln und Terrassen! Was von dem Gipfel des Corcovado
aus zusammengeschlossen schien, vereinzelt, verteilt sich wieder, das
Panorama löst sich filmisch auf in einzelne landschaftliche Szenen: man wird
nicht fertig mit Rio. Man kann es nie zu Ende kennen, und das ist seine
eigentliche, seine unvergängliche Schönheit.
Von den Hügeln hat man inmitten der endlos gebreiteten Bucht Inseln und
Inseln erblickt, grau und felsig die einen, grün und blühend die andern, alle
wie in einem Spiel von Giganten achtlos in die azurne Fläche gestreut. Soll
man sie nicht auch noch besuchen? Ja, man soll es, wenigstens einige von
ihnen. Ein breites, stämmiges Ferryboot steuert einen hinaus, vorbei zuerst an
den Inseln knapp vor der Reede, die meist Nutzzwecken dienen, der
Marineakademie oder als Petroleumdepots; erst nach einer Stunde nähert man
sich den interessanteren. Manche sind nur nackte, kahle Riffe, von Vögeln
umschwärmt, manche palmenbestanden und mit einzelnen alten Häusern.
Endlich landet man in Paquetá, und mit einem Mal klingen in einem die alten
Kindheitserinnerungen auf, die Erinnerungen an die Reisebücher: Columbus
in Guanahani, Kaptän Cook in Tahiti und Robinson auf seinem Eiland. Denn
Paquetá, das ist eines dieser seligen Eilande, dicht umblüht, flammend von
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Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197