Page - 149 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
Image of the Page - 149 -
Text of the Page - 149 -
zeigen keine Schroffen mehr sondern weichen in flutenden Wellen zurück,
überall leuchten und flammen die Blumen in dieser Stadt der Gärten.
Tagsüber klimmt das Quecksilber hier ungehemmt empor, aber die Nächte
sind im Gegensatz zu Rio kühl und die Schwüle entlüftet; noch ist es nicht die
starke, die ozonische Luft, die wir mit dem Bergland verbinden, aber doch
schon Kühle und Reine, von dem Atem der Wälder und der Blumen leise
durchduftet.
Wer wirkliche Berglandschaft fordert, muß noch weiter empor nach
Teresópolis, das einige hundert Meter höher liegt; es ist, als ob man von einer
österreichischen Landschaft in eine schweizerische käme. Die Kulisse ist hier
enger und strenger, die Wälder dunkler, die Berge schroffer im Abfall – an
einer Stelle blickt man wie von einer Zinne unvermittelt, daß einem beinahe
schwindlig wird, über das ganze Land bis nach Rio hinab. Nicht wie in
Petropolis liegen kurorthaft die Villen nebeneinander, sondern weit
voneinander wie Bauerngehöfte im Grünen zerstreut. Hier und in Friburgo,
das schweizerischen Ursprungs ist, hat man zum erstenmal alpine Landschaft
im europäischen Sinne, und in merkwürdiger Abscheidung sind es zumeist
die Europäer, die hier übersommern (wenn man das Gegenwort zu
überwintern wagen darf), während die brasilianische Gesellschaft sich
traditionell in Petropolis zusammenfindet.
So fragen die Freunde, wofür ich mich entschieden habe. Und ich entschied
mich für Rio. Ich wollte dort den Sommer mitleben, denn man kennt eine
Stadt, ein Land nur in seinen Extremen; man weiß nichts von Rußland, wenn
man es ohne Schnee, nichts von London, wenn man es ohne seinen Nebel
gesehen. Und ich bereue es nicht. Es ist heiß in Rio im Sommer, vielleicht
mag es sogar keine Erfindung sein, daß man an den brennenden Tagen rohe
Eier dort auf dem Asphalt garkochen kann, aber ich habe New York, wenn es
dort einmal feucht zu dünsten beginnt und die Häuser zu Backöfen werden,
schlimmer gefunden. Was allein den Sommer in Rio so lastend macht, ist, daß
er zu lange dauert, drei und eigentlich vier Monate. Bei Tage erträgt man die
Hitze leicht, denn es ist, wenn man so sagen darf, eine schöne, eine volle, eine
reine Hitze, die Wärme einer prallen Sonne, eines strahlenden Himmels, der
sich wolkenlos über die Bucht spannt und ihre an sich schon schmetternden
Farben zu ihrem äußersten Fortissimo steigert: wer nicht dieses Weiß der
Häuser, wenn die Strahlen prall auf sie fallen, nicht das malachitene Grün der
Palmen, nicht das einzige Blau des Meeres dort im Sommer gesehen, der
kennt diese Farben nur in gedämpften, vermengten, verminderten Formen.
Aber diese massive Hitze hat ihre natürlichen Linderungen. Jede paar Stunden
springt vom Meere her mit ganz unbrasilianischer Pünktlichkeit eine Brise
auf, die erfrischt, und muß man nicht in die innere Stadt, wo diese wohltätige
Zugluft nicht zu kann, so ist es eine Lust, an dem Strand – freilich nicht zu
149
back to the
book Brasilien - Ein Land der Zukunft"
Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197