Page - 155 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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ockergelb oder ziegelrot oder meerblau, die Fassade an; ein Haus klebte sich
an das andere, und dann war eine Straße da und noch eine und noch eine und
noch eine und allmählich eine Stadt. Keiner war gewiß, in diesem Hause
dauernd zu leben; vielleicht zog man weiter in eine ander Stadt, vielleicht
kehrte man mit seinen Ersparnissen heim, vielleicht wurde man reich, dann
baute man sich eben ein schöneres, eine jener überladenen Prunkvillen in
Pseudobarock oder orientalischem Stil, wie sie vor dreißig Jahren hier überall
als vornehm galten. Der Begriff der Dauer, der Seßhaftigkeit, der Stetigkeit,
der Ständigkeit, der restlosen bürgerlichen Einordnung in das Stadtwesen
mußte notwendigerweise diesen noch nomadischen Einwanderern völlig
fehlen, und darum konnten von vornherein diese Städte im architektonischen
Sinne nur Provisorien werden, nur ein zufälliges Nebeneinander vieler
Wohnstätten, etwas wild und planlos Gewachsenes aus Ziegel und Lehm, das
man ebenso leicht niederzureißen sich entschließt, wie man es gebaut hatte;
ein Haus, das zwanzig Jahre alt ist, gilt hier so wie bei uns ein
zweihundertjähriges als längst überlebt, und es wird mit gleicher Hast
niedergerissen, wie es erbaut worden war.
Erst seit die Industrie, der Handel und der Reichtum sich so sprunghaft
entfalten, scheint São Paulo entdeckt zu haben, daß es längst eine Großstadt
ist und die repräsentativen Pflichten einer Großstadt hat. Alles ist hier mit
einem Mal zu eng, zu klein geworden, die Straßen, die Plätze, die Kirchen,
die Verwaltungsgebäude, die Bankgebäude, die Spitäler, und mit einem
entschlossenen Willen ist nun die Stadt an der Arbeit, sich ein Zentrum, eine
Form zu schaffen; wer heute hierherkommt, erlebt einen der interessantesten
Augenblicke. Er kann sehen, mit welcher Energie hier ein Nebeneinander in
ein Ineinander, ein Provisorium in ein Definitivum umgestaltet wird. Überall
wird gearbeitet, Brücken werden unterfahren, Parks und Promenaden
angelegt, Avenuen durch die engen Stadtteile geführt, große staatliche
Gebäude errichtet und all dies planhaft, freilich nach Plänen, die, wie man mir
sagt, jedesmal von dem rasenden Wachstumstempo der Stadt noch während
des Baus schon überholt werden. Gegenseitig sich immer um ein paar
Stockwerke überbietend, stemmen sich im Zentrum die Wolkenkratzer empor,
um die Raumenge zu bewältigen, während gleichzeitig hügelauf und hügelab
in immer weiterem Kreise die Villenvorstädte sich radial verbreitern. Und
auch ethnographisch schichtet sich die Stadt völlig um. Während sie vordem
einzig gegliedert war nach den Nationen der Einwanderer in ein italienisches
Viertel (São Paulo ist zugleich eine der größten italienischen Städte der Welt),
ein armenisches, ein syrisches, ein japanisches, ein deutsches, schmilzt dies
alles jetzt ineinander, und nach rein repräsentativen Formen scheidet sich die
Stadt, innen eine City mit stark nordamerikanischen Architekturformen und
außen eine Wohn- und Gartenstadt, beide befähigt, in einigen Jahren und
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Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197