Page - 157 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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ein Wille, nicht inferiorer, nicht unkünstlerischer zu wirken, so kann man hier
in den nächsten Jahren auf allerhand Überraschungen gefaßt sein.
An eigentlichen Sehenswürdigkeiten – ein unangenehmes, hochmütiges
Wort – hat São Paulo heute noch nicht viel, und alle drei haben bei ihrer
Großartigkeit einen fatalen Beigeschmack. Da ist das Ypirangamuseum, das
die ganzen ethnographischen Verschiedenheiten der brasilianischen Fauna,
Flora und Kultur in ausgezeichneter Weise und durchdachter Übersicht zeigt;
aber was man im Durchwandern der Säle fühlt, ist eher Sehnsucht als
Erfüllung, denn die tausend verschiedenfarbigen Kolibris und Papageien
möchte man doch in ihrer Urwelt sehen, frei und unbekümmert statt
ausgestopft, und man weiß, ein paar Stunden weit, da beginnt schon der Wald
und die Dschungel, und während man noch vor den Schaukästen steht, träumt
man von diesen phantastischen Regionen. Alles Exotische hört sofort auf,
exotisch zu wirken, sobald es schaumäßig aufgestellt und schematisiert ist;
sofort wird es trocken wie ein Lehrgegenstand, wie eine starre Kategorie, und
deshalb empfindet man (gegen die eigene Vernunft, die ein solches Museum
bewundert und seine Leistung nicht genug schätzen kann) festgehaltene Natur
inmitten einer so wild und üppig blühenden Natur ein wenig als Widersinn.
Einer diese entzückenden kleinen Affen, von Palme zu Palme frei sich
schwingend, begeisterte uns gewiß als eine Gnade der Natur, aber eingereiht
und mumifiziert in allen Varianten an eine Wand gereiht, löst der Anblick von
hundert Affenarten nur eine technische Neugier aus. Schon Menagerien
wirken nicht ganz wirklich, um wieviel weniger Museen, selbst wenn sie wie
dieses mit der äußersten Sorgfalt geleitet und zu einem großartigen Ganzen
vereinigt sind. Alles Eingeschlossene bedrückt – und so ward mir das Herz
auch nicht frei, als ich die andere Sehenswürdigkeit sah, die penitenciária,
das berühmte Gefangenenhaus von São Paulo, eine Musteranstalt, die der
Stadt, dem Land und seinen Leitern hohe Ehre macht. Hier ist das Problem
der Strafanstalt – das moralisch nie ganz lösbare – im humansten Sinne
angefaßt, und das Land, das die Todesstrafe nicht kennt, hat sich bemüht, für
seine Verbrecher nach den durchdachtesten und neuesten Prinzipien zu
sorgen. Hier ist die Humanität in der Behandlung der Zuchthäusler nicht wie
in anderen Ländern als eine Rückständigkeit abgeschafft, sondern bewußt
entwickelt und nach der Idee gefördert, daß jeder Gefangene die ihm
gemäßeste Arbeit leisten und das ganze Haus gleichsam eine autarke
Gemeinschaft bilden solle, wo alles durch die Insassen geschieht. Man sieht
in diesem großen, großartig reinen und hygienisch gebauten Häuserkomplex
den ganzen Betrieb einzig von den Insassen in Bewegung gehalten; das Brot
wird von ihnen gebacken, die Medikamente verfertigt, die Klinik geführt und
das Spital, die Gemüse gepflanzt und die Wäsche gewaschen, kaum
irgendwann muß von außen jemand zur Hilfe gerufen werden; jede
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Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197