Page - 161 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
Image of the Page - 161 -
Text of the Page - 161 -
Milreis hat den Wert des Kaffees in manchen Jahren bestimmt, sondern der
Weltmarktspreis des Kaffees den Wert des Milreis.
Dieser große Finanzpotentat Brasiliens, der Kaffee, ist wie so viele andere
heute reiche Leute in diesem Lande ursprünglich ein Einwanderer, ein
Immigrant. Seine eigentliche Heimat ist Arabien, das Mokka-Land, und die
Legende erzählt, daß Hirten dort eines Tages mit Überraschung beobachteten,
wie ihre Ziegen immer, wenn sie von einem bestimmten Strauch geknabbert
hatten, lebendiger herumtollten. Bald versuchten sie selbst diese Bohnen und
stellten fest, daß sie ohne jede Schädigung für die Gesundheit eine besondere
Wirkung ausübten und die Müdigkeit minderten, weshalb sie das Gebräu aus
diesen köstlichen Bohnen Kahma nannten (von kaheja, was Abhalten vom
Schlaf bedeutet). Die Araber brachten das erfrischende Elixier den Türken,
bei der Belagerung Wiens fielen den Österreichern ganze Säcke als Beute in
die Hände, bald entstand in Wien das erste Kaffeehaus, und das braune
Getränk wurde in ganz Europa Mode – eine flüchtige, wie die gute Madame
de Sévigné irrigerweise meinte, als sie von Racine ärgerlich sagte:Cela
passera comme le café. Aber der Kaffee blieb – Racine überdies gleichfalls
und wanderte in die französischen Kolonien nach Guyana hinüber, wo die
Pflanzen und Samen ängstlich als Handelsgeheimnis gehütet wurden. Wie
tausend Jahre vordem die Chinesen das Urprodukt der Seide, den Cocon, vor
allen Fremden versteckten und die Ausfuhr auch nur eines einzigen
unverarbeiteten Cocons mit dem Tode bedrohten, bis dann zwei Mönche in
einem ausgehöhlten Pilgrimsstab einen Cocon nach Europa schmuggelten –
so hatte der Gouverneur von Cayenne strengen Auftrag, keinem Ausländer
Zutritt zu den Pflanzungen zu gewähren. Glücklicherweise für Brasilien besaß
dieser Gouverneur eine Frau, und diese schenkte 1727 in einer oder nach
einer schwachen Stunde dem portugiesischen Sergeanten Major Francisco de
Melo Palheta einige Sträucher und Wurzeln; damit war der braune
Einwanderer nach Brasilien hineingeschmuggelt, und er fühlte sich wie alle
Einwanderer bald heimisch in dem neuen Land. Zuerst siedelte er sich in
Nordbrasilien im Amazonasgebiet und dem Maranhão bei seinen Vettern
Zucker und Tabak an – Kaffee ohne diese Vetternschaft bleibt immer
unvollkommener Genuß; allmählich rückt er 1770 nach Süden in die Gegend
von Rio de Janeiro hinunter. Rings um die Hügel von Tijuca, wo heute schon
die Hochhäuser den ländlichen Villen den Raum streitig zu machen beginnen,
rafft er die Felder an sich und läßt sich von Tausenden von Sklaven hegen und
pflegen; aber noch immer behagt ihm die Luft nicht ganz, und schließlich
bemächtigt er sich der ganzen Provinz São Paulo, um nach tausendjähriger
Wanderung von dort aus sein Imperium über die ganze Welt auszubreiten.
Seinem orientalischen Ursprung gemäß entwickelte er sich immer mehr zum
Tyrannen, er unterjocht die ganze brasilianische Wirtschaft von seinem
161
back to the
book Brasilien - Ein Land der Zukunft"
Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197