Page - 171 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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Gebäude der öffentlichen Verwaltung beisammen, breite Gartenflächen führen
die symmetrischen Straßenzüge allmählich ins Freie, und jeder Straßenzug ist
abwechselnd nach den Städten, Landschaften, großen Persönlichkeiten
Brasiliens benannt, so daß ein Spaziergang entlang der Peripherie zugleich
einen systematischen Kurs heimischer Geschichte erteilt. Als Musterstadt von
Anfang an gedacht, erfüllt Belo Horizonte diese Aufgabe durch vorbildliche
Organisation und Sauberkeit; während man in den anderen Städten gerade
von der Vielfalt der Kontraste, dem pittoresken Übereinander und
Durcheinander verschiedener Zeit- und Kulturschichten bezaubert ist,
überrascht einen hier die vollkommene und harmonische Einheitlichkeit. Eine
durchaus schöne Stadt, weil aus einer Idee geboren, hat sich Belo Horizonte
eine einzige Linienklarheit der Entwicklung bewahrt, und der Sinn dieser ihr
eingebauten Idee: Hauptstadt einer Provinz zu sein, die selbst so groß ist wie
ein europäisches Königreich, wird von Jahr zu Jahr offenbar; vor 1897 ein
leeres, unbebautes Stück Landschaft, heute schon über 150 000 Einwohner
zählend, ist sie um ihrer günstigen Lage und ihres vortrefflichen Klimas
willen in raschem und dank des vorausschauenden Plans in durchaus
harmonischem Wachstum. Wird erst die metalllurgische Ausbeutung dieser
reichsten Provinz systematisch einsetzen und Minas Gerais seine
Industriekraft entfalten, so ist trotz aller Vorberechnung nicht abzusehen, zu
welcher Größe sie sich entwickeln kann: einer nächsten Generation wird
jedenfalls dieser Name Belo Horizonte so vertraut sein wie der von Rio oder
Sáo Paulo.
Von Belo Horizonte nach Ouro Preto, von der neuen zur alten Hauptstadt,
heißt aus der Zukunft in die Vergangenheit reisen, aus dem Morgen wieder
zurück in das Gestern. Die Straße schon, kaum man den guten Asphalt der
Hauptstadt verläßt, beginnt einen sehr eindringlich an das Gestern zu mahnen,
denn die rote, lehmige Erde wird bei Hitze zu einem staubigen Qualm, nach
einem Regenguß zu einem zähen Brei; wie einstens ist es noch immer nicht
ganz bequem, in die Goldwelt zu gelangen. Von dem hellen freundlichen
Hochplateau von Belo Horizonte das Land weit überschauend, hatte man
gemeint, hinter der schroffen Bergkette erstrecke sich ein weites, flaches,
tropisches Land. Aber die Straße führt in unermüdlichen Biegungen und
Wendungen, steigend und fallend, immer wieder durch Bergland; an manchen
Stellen klimmt sie tausend und sogar vierzehnhundert Meter hoch zu
ragenden Gipfeln, und dann überblickt man ein Panorama, das in seiner
Großartigkeit nur der Schweiz vergleichbar ist: Hügel an Hügel in erstarrten
riesigen Wellen, ein anderer grüner, unendlicher Ozean aus Stein und Wald.
Stark und duftend fährt der Wind über diese Höhen dahin, und sein stilles
Sausen ist der einzige Ton in dieser Einsamkeit. Kein Wagen auf dem Wege,
kaum eine Hütte auf stundenlanger Fahrt, kein bestelltes Feld, kein
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Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197