Page - 174 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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Mariana brüderlich grüßen, keine neuen Linien, keine bodenständige, keine
typisch brasilianische Architektur. Sie sind alle in dem sogenannten
jesuitischen Barock erbaut und die Pläne wohl aus Portugal
herübergekommen; auch an Reichtum der Ausstattung werden sie von den
Kirchen São Bento und São Francisco in Rio de Janeiro, an Alter und
Ehrwürdigkeit wiederum von jenen in Bahia übertroffen. Was sie sehenswert
und unvergeßlich macht, ist die harmonische Art, in der sie sich in eine völlig
leere Landschaft hineinkomponieren, und ihre Einzigartigkeit besteht in dem
Wunder, daß solche großzügige, kunstvolle Bauten in dieser damals völlig
von der zivilisierten Welt abgelegenen Zone überhaupt entstehen konnten – in
dem noch heute nicht ganz erklärlichen Wunder, daß innerhalb dieser eilig
herangeschwemmten Rotte von Goldgräbern, Abenteurern und
Sklavenhorden sich eine kleine Gilde einheimischer Künstler und Werkleute
fand, die fähig waren in vollkommener und persönlicher Weise diesen
Kirchen diese reiche plastische und malerische Ausschmückung zu geben.
Woher sie gekommen und wie sie sich zum Werke gefunden, diese wandernde
Gilde, die viele Meilen weit von einer Goldstadt zur andern zog, um dort in
organischer Gemeinschaft diese weithin leuchtenden Denkmäler der
Frömmigkeit über die gierige Fron des Goldes zu erheben, wird vielleicht für
immer ein Geheimnis bleiben; nur eine Gestalt tritt plastisch aus dieser
Gruppe hervor, der Plastiker dieses schaffenden Kreises – Antonio Francisco
Lisboa, genannt o Aleijadinho, der Verstümmelte.
Dieser Aleijadinho ist der erste wirklich brasilianische Künstler und schon
deshalb typisch brasilianisch, weil ein Mischling, der Sohn eines
portugiesischen Zimmermeisters und einer Negersklavin. In Ouro Preto 1730
geboren, zu einer Zeit, da die Stadt noch nichts war als ein Gewirr hastig
herangefluteter Menschen, ohne richtige Häuser, ohne steinerne Kirchen und
Paläste, wächst er auf ohne Lehrer, ohne Meister und ohne die flüchtigsten
Elemente der Bildung. Was den andern an diesem kleinen wilden Mulatten
zunächst auffällt, ist seine dämonische Häßlichkeit, die ihm eine Art
Bastardbruderschaft zu Michelangelo gibt, dessen Namen er wahrscheinlich
nie vernommen, und von dem er niemals ein Werk gesehen. Mit seinen dicken
hängenden Negerlippen, seinen großen Schlappohren, seinen entzündeten und
immer zornig blickenden Augen, seinem völlig zahnlosen und schiefen Mund,
seinem verkrümmten Körper muß er schon in seiner Jugend einen so widrigen
Anblick geboten haben, daß – wie die Chroniken schildern – jeder erschrak,
der ihm unvermuteterweise begegnete. Dazu kommt noch von seinem
sechsundvierzigsten Jahre jene grauenhafte Krankheit, die ihn verstümmelt
und ihm erst die Zehen von den Füßen und dann die Fingerglieder wegfrißt.
Aber keine Verstümmlung kann den so grausam von der Natur Gezeichneten
an der Arbeit hindern. Jeden Morgen läßt sich dieser schwarze Lazarus von
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Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197