Page - 179 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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nicht, wie ich gemeint hatte, ein riesiger Haufen, ganze Klötze wie in den
Kammern Montezumas – es ist nicht mehr als ein kleiner Block Gold, nicht
größer als ein Ziegelstein. Es ist also nicht mehr als ein einziges gelbes Stück
Metall, das diese achttausend Menschen mit Hilfe der kompliziertesten
Maschinen in kunstvollster organisierter Arbeit der Erde abgerungen, und
dieser eine winzige Ziegelstein gelben Metalls bezahlt diese achttausend
Menschen und verzinst die Investitionen und speist noch irgendwo die
unbekannten Aktionäre. Und wieder einmal wurde ich des teuflischen
Zaubers gewahr, den dieses gelbe Erz seit Jahrtausenden über die Menschen
übt. Zum erstenmal hatte ich sinnlich und optisch den ganzen Widersinn
dieser Hörigkeit empfunden, als ich in Paris in den unterirdischen Kellern der
Banque de France sah, wie dort in einer Art Festung unzählige Meter tief
unter der Erde der angebliche Reichtum Frankreichs in Barren aufgestapelt
lag, tot und kalt, eigentlich imaginäre Millionen und Milliarden – als ich sah,
wieviel Mühe, wieviel Kunst und geistige Kraft verschwendet wurden, in
einer künstlich in Paris angelegten Mine dieses in Afrika, Amerika,
Australien mühsam ausgegrabene Gold wieder in die Erde zu verstecken. Und
hier, an einem anderen Ende der Welt sah ich dieselbe Mühe, dieselbe Kunst,
dieselbe geistige Kraft, gesammelt in der Arbeit von achttausend Menschen,
um dasselbe tote Metall listvoll der Erde zu entreißen, nur damit es irgendwo
wieder in sie hineingesenkt werden könne in einen künstlichen Schacht einer
Bank, eines Kellers. Und ich verbot mir, über den Irrwitz der Goldgräber von
Vila Rica zu spotten, die dort in Prunkgewändern stolzierten, denn der alte
Wahn ist noch heute derselbe, er ändert nur seine Formen. Noch treibt dieses
kalte Metall mächtiger als alle Dynamos und geistigen Wellen die Menschheit
an und bestimmt in unberechenbaren Auswirkungen die Geschehnisse unserer
Welt; und gerade als ich kalt und völlig ungöttlich den gelben Ziegelstein
Gold vor mir liegen sah, wurde das Paradoxe mir bewußt.
So erging es mir sonderbar in diesen Tälern des Goldes. Ich war
gekommen, um seine Macht, seine Wirkung besser zu verstehen an dem Ort
seines Ursprungs, im Anblick seiner wirklichen, seiner sinnlichen Formen.
Aber nie wurde ich des Widersinns dieses Wahns tiefer gewahr als in der
Minute, als ich völlig ehrfurchtslos den gelben Ziegelstein Gold anrührte, an
dem noch die frische, unsichtbare Arbeit von Tausenden von Händen klebte;
es war nichts als kaltes, hartes Metall. Keine Schwingung, keine Wärme
strömte über in meine Hände, keine Heizung ging über in meine Sinne, keine
Ehrfurcht in meine Seele. Und ich konnte nicht verstehen, daß dieselbe
Menschheit diesem Wahne dient, die doch fähig wäre, solche hohe, strahlende
Schöpfungen wie jene leuchtenden Kirchen zu erschaffen und in ihnen das
irdische Vermächtnis der Ewigkeit ehrfürchtig zu hüten: die Kunst und den
Glauben.
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Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197