Page - 181 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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allmählich eine Mauer, hinter der die Stadt sich gesichert erhob; bald wagte
man Kirchen zu bauen und Paläste auf dem schroff abwehrenden Fels, und
dieses wundervolle Profil, diese weit geschwungene, diese königliche Linie
hat sie sich erhalten. Nichts in Südamerika weiß ich dieser stolzen, dieser
majestätischen Haltung zu vergleichen, mit der an der gleichen Stelle wie zu
Cabrals und Magellans Tagen Bahia über seinen Hafen und seine alten
Kastelle weithin über den Ozean blickt.
Wandert man empor den steilen, von bröckelnden Häusern umrahmten
engen Weg, so erkennt man, wie reich diese Stadt einmal gewesen. Sie ist
nicht verarmt heute, sie ist nicht zurückgesunken. Sie ist nur stehengeblieben,
und das gibt ihr jene Schönheit, wie sie alle Städte haben, die Jahrzehnte und
Jahrhunderte verträumt haben, wie Venedig, wie Brügge, wie Aix-les-Bains.
Zu stolz, um der neuen Zeit ungestüm nachzujagen und Wolkenkratzer zu
türmen, um mit Rio de Janeiro, mit São Paulo zu wetteifern, zu lebendig
anderseits, um zu verfallen wie die Goldstädte von Minas Gerais und museal
zu werden, ist sie geblieben, was sie war: die Stadt desalten portugiesischen
Brasiliens, und einzig hier fühlt man Brasiliens Herkunft und seine
jahrhundertealte Tradition.
Diese Tradition spürt man überall. Bahia hat – im Gegensatz zu allen
andern brasilianischen Städten – seine eigene Tracht, seine eigene Küche,
seine eigene Farbe. Nirgends zeigt sich die Straße so bunt wie hier, wo die
afrikanische, die alt-koloniale Bevölkerung sich geschlossen behauptet hat;
ununterbrochen meint man die Szenen aus Debrets »Brésil pittoresque« als
lebendige Bilder zu sehen, all diese einstigen Dinge, die längst aus den andern
Großstädten verschwunden sind. Zwar steuern die Automobile puffend die
Straßen entlang, aber in der Altstadt schleppen noch Maultiere auf
schaukelnden Sätteln Früchte und Holz, Lastesel kann man hier noch nach der
Stunde zur Beförderung mieten wie Autos in einer modernen Stadt, und am
Hafen wird die Fracht wie zu römischen und phönizischen Zeiten nicht durch
künstliche Krane sondern auf dem Rücken der Lastträger in die Schiffe
geholt. Die Verkäufer mit ihren breitkrempigen Strohhüten tragen wie eine
ungeheure Waage auf ihren Schultern die Stange, von der rechts und links die
Ware niederhängt, auf dem nächtlichen Markt sitzen bei Kerzen oder
Acetylenflammen die Händler auf der bloßen Erde inmitten Bergen von
Orangen, Kürbissen, Bananen und Kokosnüssen. Während an ihren steinernen
Kais die Ozeandampfer groß und mächtig liegen, schaukeln noch am Ufer die
Segelschiffe, die von und zu den Inseln fahren, schmal, schlank und leicht,
ein schwankender Wald von Masten. Und sogar die Sangadas sieht man noch,
die Kanoes der alten Brasilianer, eine Kuriosität ohnegleichen. Eigentlich ist
es nur ein Floß, aus drei oder vier Baumstämmen ohne jede Kunst
zusammengenagelt und darauf ein enger Sitz, nichts Primitiveres kann man
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Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197