Page - 185 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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schön und die Benediktiner, und dann kamen die Neger und wollten die ihre
mit einer dunklen Madonna und dem Heiligen ihrer Farbe; so sind Kirchen
und Klöster heute überall, kaum kann man eine größere Straße durchwandern,
ohne auf eine zu stoßen, die nicht ihren antiquarischen Reiz hätte. Für jeden
Gläubigen, der seine Andacht verrichten wollte, war in der einstigen Kolonie
Raum zu jeder Stunde des Tags. Heute sind es dank jenes frommen
Wettstreits sogar zuviel der Kirchen, um sie jemals gänzlich zu füllen und
man brauchte Tage und Tage, um jede einzelne in all ihren Eigenheiten und
Einzelheiten zu bewundern.
Diese Fülle der Kirchen (sie sind in den neueren Städten Brasiliens eher
selten im Vergleich zu Europa) überraschte mich. Und ich fragte den
freundlichen Geistlichen, der mich begleitete, ob Bahia noch immer wie einst
die Stadt der Frömmigkeit sei. Er lächelte leise und sagte: »Ja, die Leute sind
hier fromm. Aber sie sind es auf ihre Art.« Ich verstand zuerst nicht, was dies
leise begleitende Lächeln meinte; es war nicht absprechend, nicht kritisch. Es
deutete nur auf eine besondere Art der Frömmigkeit hin, die nicht ganz mit
unserem Begriffe verbindbar ist, und die ich erst in den nächsten Tagen
erkannte. Bahia ist von allen großen Städten Brasiliens die dunkelste; wie
alles der Vergangenheit hat sie sich auch ihre alte Negerbevölkerung bewahrt
und ist noch nicht in dem Maße wie die andern durch europäischen Zustrom
aufgefärbt worden. Und die Neger sind seit Jahrhunderten die treuesten, die
eifrigsten, die leidenschaftlichsten Anhänger der Kirche gewesen, nur daß die
Form der Gläubigkeit auch innerlich bei ihnen einen anderen Farbton
aufweist. Für diese naiveren, durch Denkarbeit nicht belasteten neugetauften
Afrikaner bedeutete die Kirche nicht einen Ort der Innern Sammlung, des
stillen Insichversenkens; am Katholizismus lockte sie die Pracht, das
Geheimnisvolle, das Farbige, das Üppige des Ritus, und schon Anchieta
berichtete vor vierhundert Jahren, daß die Musik das Beste an Bekehrung bei
ihnen vollbringe. Und noch heute ist bei diesem gutmütigen, leicht in seinen
Sinnen erregbaren Volk Religion mit Festlichkeit, mit Freude, mit Schauspiel
unlösbar verbunden; jeder Umzug, jede Prozession, jede Messe hat für sie
etwas Beglückendes. Darum ist Bahia die Stadt der religiösen Feste. Ein
Feiertag ist in Bahia nicht bloß eine rotgedruckte Linie im Kalender, sondern
wird unwiderstehlich zum Volksfeiertag, zum Schauspiel, und die ganze Stadt
setzt ihren Eifer daran, auf irgendeine Weise mitzutun. Wie viele solcher
Feste es im Jahre gibt, konnte mir niemand verläßlich sagen, wahrscheinlich
weil sich das Volk aus diesem merkwürdigen Mischgefühl von wirklicher
Religiosität und Schaufreude immer neue erfindet.
So gehört nicht viel besonderes Glück dazu, in Bahia ein solches Volksfest
zu sehen; aber ich hatte dieses Glück und noch dazu an dem Tage, da der
Feiertag des Stadtheiligen Bornum gefeiert wird. Dieser im Kalender nicht
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Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197