Page - 191 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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sein, volkswirtschaftlich zum Nachteil. Aber welche Freude doch jedem
Auge, das sich ermüdet an der Monotonisierung der Welt. Respektvoll grüße
ich den alten Potentaten, den Zucker, darum im Vorüberfahren: er hütet noch
das heilige Erbe der Erdfrucht vor den Verführungen der chemischen Künste
und gibt dem Land und der Welt in dem süßen Saft etwas von der gekelterten
Kraft dieser Sonne und der Unerschöpflichkeit seiner gesegneten Erde.
Auch sein dunklerer Landesbruder, der Tabak, erweist sich konservativer
als ich vermeint. In Cachoeira, dieser alten historischen Stadt, wo Häuser
noch Schießscharten gegen die Indios tragen, haben sich die großen und
berühmten Zigarrenfabriken des Landes zusammengefunden. Als alter Diener
Sankt Nicotins hatte ich hier Dankbarkeit für manche duftige Zigarre zu sagen
und wollte im stillen mir schuldbewußt nachzählen, wieviel solcher grüner
Felder mit Tausenden und aber Tausenden Blättern ich in all den Jahren
meines Lasters in Rauch verwandelt. Wählen ist immer schwer, und so sah
ich alle drei Fabriken. Aber »Fabriken« ist hier ein übertriebenes Wort, denn
ich hatte schon gefürchtet, ich würde nur mächtigen stählernen Maschinen
gegenüberstehen, die an einem Ende den geschichteten Tabak einschlucken
und am andern Ende die Zigarre gerollt, gehüllt, etikettiert und womöglich
schon in die Schachteln gepreßt herausreichen, wodurch man ja in solchen
Fabriken immer den Eindruck hat, eigentlich nur großen Automaten
zuzusehen und nicht einem realen Umwandlungsprozeß. Aber nichts von
alldem. Hier in Brasilien ist auch dieser Prozeß nicht maschinisiert. Jede
Zigarre wird hier mit der Hand gemacht oder vielmehr: an jeder einzelnen
arbeiten zwanzig bis vierzig geschickte Händepaare. Und man kann – für
jeden Raucher eine Überraschung – der allmählichen Verwandlung
zublickend, erstaunend wahrnehmen, wieviel Mühe sich unter seinem dünnen
Deckblatt verbirgt. Hunderte dunkelfarbige Mädchen sitzen in diesen Sälen
nebeneinander, jede Gruppe anders tätig, und im Durchschreiten macht man
den ganzen Werdegang einer Zigarre gleichsam optisch mit. Im ersten Raum
der Tabak, wie er vom Felde kommt, die großen, schon getrockneten Blätter,
die einen merkwürdig bitteren und scharfen Duft ausatmen. Nach der ersten
Sortierung – Frauen besorgen sie, die inmitten eines solchen Tabakbergs
sitzen wie Bäuerinnen auf einem Strohschober – werden die Rippen losgelöst.
Dann erst beginnt das Walzen des Tabaks zur Form der Zigarre, eine andere
Gruppe gibt mit einem Messer vor einem Meßstab ihnen das gleiche Maß.
Aber noch sind sie nur nackter Tabak, negerhaft und unbekleidet. Das
Deckblatt muß ihnen erst Form und auch Geschmack geben. Jedoch –
sonderbare Böswilligkeit der Natur – Brasilien, seit Jahrhunderten das
reichste Tabakland, hat alle Formen des Tabaks, nur dieses eine Tabakblatt,
aus dem das Deckblatt geformt wird, will hier nicht gedeihen. So muß dieses
Deckblatt – Milliarden und Milliarden solcher Blätter – aus Sumatra
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Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197