Page - 195 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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sich nicht unmittelbar an den Strom lehnt und ihn nicht frei überblickt. Aber
es ist eine schöne, belebte Stadt, weit in ihren Proportionen, und überall sieht
man Zeugnisse ihrer kühnen, stolzen Zeit. Denn zwanzig Jahre lang hat
Belém geträumt, über Nacht eine moderne Luxusstadt zu werden; das war, als
der große Boom des Gummis begann und der Norden Brasiliens noch das
Monopol der Hevea Brasiliensis einzig in Händen hatte. Damals wurden die
runden schwarzen Kautschukkugeln, die mit den Schiffen und Barken den
Amazonas herabkamen, mit irrer Geschwindigkeit zu Gold, und die Stadt
strömte über davon. Damals baute sich Belém ebenso wie Manaus ein großes
prächtiges Opernhaus, das heute ziemlich nutzlos auf dem großen Platze
steht, um die erträumten Carusos würdig zu empfangen, stattliche Villen
reihten sich auf, und es schien, als wollte dank des »flüssigen Goldes« sich
das Schwergewicht der Wirtschaft wieder wie einst nach dem Norden neigen.
Dann ebbte die Konjunktur scharf und schärfer ab, die internationalen
Compagnien, die Handelshäuser schrumpften ein oder verschwanden.
Seitdem wurde Belém wieder, was es vordem gewesen, eine stattliche aber
stille Stadt. Durch das Flugzeug ein Abstoßpunkt nach Nordamerika und
Südamerika und Europa, hat es anderseits eine neue Zukunft vor sich; wenn
einst die unermeßlichen und noch nicht ermessenen Gebiete des Amazonas
sich erschließen, wird sein vorschneller Traum der Macht sich vielleicht noch
großartiger erfüllen, als er geträumt war.
Die große Sehenswürdigkeit von Belém sind seine zwei Gärten, der
zoologische und der botanische, die die ganze Fauna und Flora der
Amazonenwelt in sich zusammenfassen. Wer nicht das Glück, die Zeit und
den Mut hat, tagelang den Strom emporzufahren – die »grüne Wüste«, wie
man es nennt, weil in ununterbrochener aber grandioser Monotonie rechts und
links des Wassers die Wälder sich türmen – der kann hier auf gekiesten und
bequemen Pfaden Urwald ahnen, atmen und schauen. Da ist die
berühmte Hevea Brasiliensis, der Gummibaum, der dieser Zone Reichtum
versprach und dann ihn der ganzen Welt, statt bloß seinem Heimatlande
gegeben; ich durfte ihn ritzen, und nach einer Minute quoll durch den
winzigen Einschnitt schon der weiße, klebrige Saft. Da ist ein anderes
Wunder, der Baum, den die Eingeborenen als heilig verehrten, weil er der
einzige ist, der nicht an seiner Stelle und in seinen Wurzeln verharrt, sondern
wandert – wahrhaftig wandert. Denn er streckt sein Gezweig so weit vor, bis
es müde wird und sich zur Erde neigt. Dort senkt es sich ein, gewinnt neue
Kraft aus dem Boden, wird Zweig und Stamm und rankt sich empor, indes der
alte Stamm eintrocknet und verfällt. So ist er ein paar Schritte
weitergegangen, ein anderer Stamm und doch derselbe Baum, und so wandert
er weiter, bestaunt von den Wilden als ein wissendes, beseeltes Wesen. Und
dann andere Wunder, Riesenstämme, längst nicht mehr zu umspannen, die
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Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197