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Ganzen zu verschmelzen, die so überaus malerische und originelle Gesammtanlage des
Domes entstand, welche undenkbar wäre ohne diese historische Reihenfolge in der Ent-
wicklung. Während der westliche Abschluß die ersten Keime des gothischen Stiles ausweist,
steigert sich dessen Formenreichthum in dem strenge angeordneten Chöre und erreicht seine
höchste Blüte iu dem überaus reich gegliederten Langhause, um sich schließlich noch als
äußere Decoration an seinen Ursprung, die kräftige Westfac^ade wieder anzuschließen.
Die Epoche der Renaissance fand an dem eben erst vollendeten Gebäude keine
Gelegenheit sich geltend zu machen und erst im XVII., theilweise im XVIII. Jahrhundert
gibt sich ihr Wirken durch Beseitigung des großen Theiles der mittelalterlichen Einrichtung
und Ersatz derselben durch die noch jetzt vorhandenen Altäre ic. zu erkennen. In jene Zeit
fällt auch die Beseitigung der Glasgeinälde, welche einst alle Fenster schmückten, und die
Tünchung des gesummten Innenraums mit jener grauen Farbe, welche so lange Zeit als
ehrwürdige Patina galt.
Aus alter Zeit stammen nur die herrliche Kanzel, die kleine Orgclbühnc, der Tauf-
stein und das gothische Chorgestühl. Die Werke der Renaissance find thcilweise von hohem
künstlerischen Werthe und gilt dies namentlich von den zahlreichen Epitaphien im Innern
imd Äußeren des Domes, welche an uud für sich einen Abschnitt von drei Jahrhunderten
ans der Cultur- und Kunstgeschichte Wiens rcvräsentiren.
Dic Marienkirche am Gestade (Maria Sticgenkirche) rcpräsentirt als hervorragendes
Werk der Wiener Bauhütte den zweitwichtigsten und zwar vollständig erhaltenen gothischen
Bau der Stadt, obwohl sie, infolge langer Bauzeit, kein einheitliches und in allen Theilen
gleich behandeltes Werk ist; auch hat sie keine regelmäßige Grundrißanlage als Folge
des sehr beschränkten Terrains, auf dem sie steht. Ihre Gcsammtlänge erreicht circa
69 Meter. Der älteste Theil ist das dreiseitig geschlossene, ungefähr 23 Meter hohe
Presbyterium mit dem damit unmittelbar verbundenen und eine einheitliche Anlagegruppe
bildenden breiten dreijochigen Langhause, Reich profilirtc Rippen nnd Wanddienste, schön
scnlvtirte Schlußsteine, zahlreiche Statuen unter kunstuollen Baldachinen an den Wänden
beleben das Innere des herrlichen Baues, das durch große spitzbogige Maßwerkfenster,
davon die schmäleren des Chorschlusses zahlreiche Reste herrlicher farbiger Verglafung
enthalten, hinreichend erhellt wird. Der Bau des in deu edelsten Formen ausgeführten
Kirchcnthcilcs begann 1340 und wurde um 1365 vollendet. Der Bau des au diese
Baugruppe in gebrochener Achse anschließenden, schmalen Schiffes dürfte erst in den letzten
Jahren des XIV. Jahrhunderts begonnen haben. Unter Baumeister Michael Weinwurm
(1394) wurde der Grundstein gelegt. Als Meister werden noch genannt: Konrad
Rampersdorfcr (1403) und Dietrich Entzcufelder (1407). Auch in diesen, Theile findet sich
der gothische Decorationöreichthum zum Ausdruck gebracht. In das erste westliche Joch ist
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien, Volume 1
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien
- Volume
- 1
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1886
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.13 x 22.72 cm
- Pages
- 348
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch
Table of contents
- Landschaftliche Lage Wiens 3
- Zur Geschichte Wiens 5
- Wiens architektonische Entwicklung 51
- Wiener Volksleben 91
- Die Musik in Wien 123
- Die deutsche Literatur in Wien und Niederösterreich 139
- Das Wiener Schauspiel 169
- Malerei und Plastik in Wien 205
- Wiener Kunstindustrie 263
- Voltswirthschaftliches Leben in Wien 277