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Schon bei Müllers Lerchenfcldcr Kirche kommt diese Thatsache zu erfreulichem Aus-
druck. Vergleicht man sie mit den Wiener Kirchenbauten der unmittelbar voraufgchcnden
Epoche, z. B. mit der von Rö'sner errichteten Johann es kirche in der Praterstraße
(1842 bis 1845) und der evangelischen Kirche in Gumpcndorf von L. Förster und
Theophil Freiherr von Hansen (1846 bis 1849), so erhellt, daß weniger die Wahl des
Stils als vielmehr dessen Handhabung das Werk Müllers als bahnbrechend kennzeichnet.
Auch in jenen Bauten haben altchristliche Vorbilder, byzantinische und romanische,
bestimmend eingewirkt, jedoch ohne durchschlagenden Erfolg. An dem Bau der Gumpen-
dorfer Kirche, welcher mit geringfügigen Mitteln ausgeführt werden mußte, gewährt das
Äußere wenigstens den Eindruck schlichter Strenge; der Außenbau der Kirche in der
Praterstraße dagegen ist in manchen Punkten von einer geradezu dilettantenhaften
Unbehilflichkeit; einzelne hübsche malerische Wirkungen des Innern, selbst Führichs
gediegener, leider in ewige Nacht gebannter Wandgemäldecytlus können uns darüber nicht
hinwegtäuschen. In Müllers Werk athmet ein wahrhaft künstlerischer Geist; es ist die
Schöpfung einer jugendfrischen Phantasie, die durch das Studium der italienischen Kunst
des Mittelalters ihre Kräfte nährte. Das Äußere, leider noch kein reiner Materialbau,
hat den Charakter anspruchsloser Zierlichkeit; im Innern laßt der Meister seine Bogen
rhythmisch wechseln und geht nach südländischer Art vor Allem auf die Herstellung einer
schön gegliederten Räumlichkeit aus, iu welcher mouumeutale und deeoratiue Kunst weiten
Spielraum zu glänzender Entfaltung finden, Führich und van der Null mit ihren Genossen
hatten hier Gelegenheit, ihr Talent zu bewähren. Das Ganze mag hinter einzelnen
Münchener Schöpfungen der Epoche Ludwigs I. an Ernst und Formenstrenge vielleicht
zurückstehen, an Phantasie und Reiz ist es ihnen bedeutend überlege».
Die neueren Kirchenbauten Wiens, deren Betrachtung hier gleich anzureihen ist,
sind von Müllers Bau mannigfach verschieden in der Wahl des Stils: die meisten gothisch,
andere byzantinisch; vereinzelt zeigt sich ein Versuch iu Basilikenform. Aber ein gemeinsamer
Zug lebt in ihnen allen: der Drang nach freier Bethätigung der künstlerischen Eigenart
und des heimischen Volksgeschmackes. Nichts ist bezeichnender für diese Wahrnehmung
als die geniale Beweglichkeit, mit welcher Friedrich Freiherr von Schmidt, der hervor-
ragendste Meister auf dem Gebiete der Kirchenbaukunst unserer Tage, der Tombaumcister
und Rcstaurator von St. Stefan, den streng und fest gegliederten Organismus der
gothischen Bauweise den Bedürfnissen von Zeit und Örtlichkeit anzupassen wußte. Jede
seiner zahlreichen Kirchcnbauten: die Lazaristentirche an der Mariahitferlinie, die Kirche
in der Vorstadt Weißgärber mit ihrem schlank gewachsenen Thurm, die trefflich für ihre
Situation berechnete Pfarrkirche in der Brigittenau, die Fünfhaufer Kirche, die Kirche der
Lazaristen in Wahriug — wir haben hier nur die für Wien ansgeführten zu verzeichnen —
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien, Volume 1
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien
- Volume
- 1
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1886
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.13 x 22.72 cm
- Pages
- 348
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch
Table of contents
- Landschaftliche Lage Wiens 3
- Zur Geschichte Wiens 5
- Wiens architektonische Entwicklung 51
- Wiener Volksleben 91
- Die Musik in Wien 123
- Die deutsche Literatur in Wien und Niederösterreich 139
- Das Wiener Schauspiel 169
- Malerei und Plastik in Wien 205
- Wiener Kunstindustrie 263
- Voltswirthschaftliches Leben in Wien 277