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einer Woche, so ist: heute Montag der normale Zahltag für den Los- oder Kranten-
verein, oder es gibt vielleicht ein kleines „Lätitzl", eine Namenstag- oder Geburtstagfeier,
cordiale Feten, die der Runde nach abgehalten werden müssen; morgen Dienstag irgend
ein beliebiger Jahrestag, beispielsweise einer Vermahlung, eines Haustaufes, eines
Bürgerjubiläums ?c.; Mittwoch eine wirtliche Hochzeit, die am praktischsten ja nur im
Wirthshaus-Extrazimmer begangen werden kann: Donnerstag ist etwa ein Trauermahl
nach den, Leichenbegängnisse eines werthen Compatrioten mit opulentem Trinkgelage uud
splendider Schmauserci, ein Zechopfer, den Manen des Todten gebracht, das, nach
Kampf's claffischem Referate, meist sehr animirt zu werden und überaus heiter zu enden
pflegt; Freitag ist das männiglich belaunte obligate „Wurstefseu", das unmöglich aus-
gelassen werden kaun; Samstag hat der Geselligteitsvereiu „die Nachtvögel" oder der
Sängerbund „Brüllaria" den statutenmäßigen Productionsabend, und Sonntag ist die
beliebte Volksfängergesellschaft A mit der „Saloujodlerin" ?) auuoncirt, wo man am
wenigsten fehlen wird, weil es erstens ein wirklicher und noch dazu billiger Kunstgenuß
und zweitens das Ganze zum „todtlachen" ist.
Wie man schon aus diesem nur oberflächlich zusammengestellten Repertoire, das
sich noch vielfältig erweitern ließe nnd durch eiugcschobene Überraschungen des erfindungs-
reichen Wirthes auch allwöchentlich erweitert und erneuert wird, sieht, gibt es der
Abwechslung genug, .um für jeden Abend das Animo zu fiuden, sogar mit der „Seineu"
und den „Seiingen" diesen „nnschnldigen" Zerstreuungen gewissenhaft beizuwohnen. Daß
ferner die eingestreuten Zither- und Streichquartett-Abende, die übrigen Musik- und
Tanzkränzchen, dann die carneualistischeu Unterhaltungen, die „renommirten" Gesellschafts-,
dann die famosen „Schlafhauben-", „Neglige-", „Spatzen-" und „Nachbarn-Bälle" ic.,
die jeder aufmerksame Wirth für seine „täglichen Gäste" veranstalten wird, jedenfalls auf
ein starkes Besnchsauautum rechuen können, liegt in der Natur der Zache, das heißt in den
Lebensgewohuheiten des Wieners. Und was der hier einschlägigen Sittenbilder noch
mehr sind.
Es find erst zehu bis fünfzehn Jahre, daß man im kühleren, „arbeitsame»" Norde»
über das zeitraubende, gedankentüdtende, sybaritische uud kostspielige „Kaffeehaus- uud
Wirthshausleben" der leichtblütigen Wiener viel spöttelte; man hat mittlerweile dort
selbst von dem süßen Gifte getostet, es schmackhaft befunden und uus in diefer Beziehung
schon bedeutend — überflügelt
Hämische Krittler könnten sich nach diesem Abschnitte die Bemertnng gestatten, daß
ein „Sitteuschilderer" Wiens, nachdem er unser „Wirthshauslebeu", wenn auch nur
mit flüchtigen Strichen zeichnete, damit den größten Theil seiner Aufgabe gelöst habe. Und
nicht mit Unrecht. Wie dem aber auch sei, Ewiges gibt es denn doch noch zu bemerken.
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien, Volume 1
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien
- Volume
- 1
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1886
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.13 x 22.72 cm
- Pages
- 348
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch
Table of contents
- Landschaftliche Lage Wiens 3
- Zur Geschichte Wiens 5
- Wiens architektonische Entwicklung 51
- Wiener Volksleben 91
- Die Musik in Wien 123
- Die deutsche Literatur in Wien und Niederösterreich 139
- Das Wiener Schauspiel 169
- Malerei und Plastik in Wien 205
- Wiener Kunstindustrie 263
- Voltswirthschaftliches Leben in Wien 277