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wiederum zum Theile ans Fraurninnnd geflossen sind, jener in Nachahmung der Franzosen
und Provcnzalen am Rheine begründeten, zwar knnstrcichercn, aber auch kälteren und
farbloseren Richtung gegenüber. Erst Reinmar von Hagenau, wie es scheint ein Elsässer,
welcher nachmals am Hofe Leopold des Tugendhaften dichtete, hat jene fremde Kunst
nach Österreich verpflanzt und rafch bis zum Manierirten entwickelt. Ihn verehrt als
seinen Lehrer Walthcr von der Vogelweioe; aus ritterlichem Geschlechte, aber ein
Fahrender, welcher in Österreich fingen und fagen lernte uud wiederholt am österreichischen
Hofe lebte. Er verbindet die Vorzüge der in Niederösterreich heimischen Knust mit denen
der fremden, welche er von Reinmar erlernt hat. Er vereinigt das Volksthümliche mit dem
Conventionellen, die Natnr mit der Knust. Er ist nicht blos geistreich wie fein Lehrer und
will nicht blos geistreich sein wie dieser: er ist anch gefühlvoll. Er verknüpft nach der Weise
des altheimischen Minnesanges das Naturgefühl wieder mit der Liebesemvfiuduug, von
welcher es die rheinische Lyrik getrennt hatte. Er sucht wie Rcinmar das Ttiluolle, aber
ohne auf das Individuelle, Bestimmte und Siunliche zu verzichten, Seinem monotonen
Lehrer gegenüber sehen und hören wir ihn nnanfhörlich in wechselnder Gestalt, und er ist
nicht weniger bnnt in der Form als unerschöpflich in dem Inhalte seinerLieder. Das höfische
Liebcsleid, das couueutiouelle Tranern um die Geliebte füllt ihn uicht aus, sein Vlick ist
auf das Ganze, anf seiu Vaterland, auf das Wohl der Menschheit gerichtet. Er gehört zu
den größten Lyrikern, welche das Mittetalter hervorgebracht hat.
Walther war nicht blos Liederdichter sondern er war auch Spruchdichtcr und unr
als solcher hat er Zchulc gemacht. Am österreichischen Hofe dichteteu noch iu der ersten
Hälfte des XIII. Jahrhunderts ein Bruder Weruher, ein Herr Pfeffcl, sowie ein rheinischer
Ritter Reinmar von Zweter; vielleicht hat auch der Maruer noch in Österreich von Walther
gelernt. Der ideale Minuegesang dagegen fand nach Walthcr in Niederösterreich keinen
bedeutenden Vertreter mehr. Die auf ihu folgende Lyrik entwickelte vielmehr die voltö-
thümlicheu Elemente, auf deuen Walthers Dichtung fußte, und welche mm ganz die
Oberhand gewannen. Im Anschlüsse an das volksmäßige Tanzlied entstand jetzt die
sogenannte höfische Dorfvoesic, Begründer uuo bedeutendster Vertreter dieser Richtung ist
ein baierischcr Ritter Neidhart von Reucnthal, der am Hofe Friedrichs des Streitbaren
dichtete. Die Scene dieser Dichtung ist das Dorf; der ritterliche Dichter tritt unter den
Bauern auf uud betheiligt sich an ihren Liebes- und Raufhäudelu. Die Voraussetzung
ist ein durch Reichthum uud Macht übermüthig gewordener Bauernstaud. Gegenstrophcn
gegen die Neidhart'fchen Lieder gingen unmittelbar aus den Baucrnkrcisen hervor, welchen
die Gabe kecker Improvisation damals schon zu eigen war. Sie schloffen sich wie ihre
Vorbilder unmittelbar an die Tanzmusik an, als deren Sitz hier zum ersten Male Wien
erscheint, wo damals auch der Tannhäuser, ein lustiger Fahrender, seine übermüthigen,
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien, Volume 1
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Wien und Niederösterreich, 1. Abteilung: Wien
- Volume
- 1
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1886
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.13 x 22.72 cm
- Pages
- 348
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch
Table of contents
- Landschaftliche Lage Wiens 3
- Zur Geschichte Wiens 5
- Wiens architektonische Entwicklung 51
- Wiener Volksleben 91
- Die Musik in Wien 123
- Die deutsche Literatur in Wien und Niederösterreich 139
- Das Wiener Schauspiel 169
- Malerei und Plastik in Wien 205
- Wiener Kunstindustrie 263
- Voltswirthschaftliches Leben in Wien 277