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Epochen gehen konnte.185 Einmal mehr zeigt sich hier Wilczeks
intuitiver, keineswegs zu verallgemeinernder und damit unmögÂ
lich in ein theoretisches Regelwerk zu zwängender Zugang zum
historischen Denkmal, der immer vom Einzelobjekt als einer indiÂ
viduellen Problemstellung ausgeht und praxisorientiert ist, ohne
die Gefahr, in Schemata zu verfallen. In jedem Fall aber ging es
Wilczek um die nicht nur bis ins Detail historisch » getreue «, sonÂ
dern vor allem sinnlich – visuell und haptisch – umfassende ReÂ
konstruktion historischer Atmosphäre, um die WiederherstelÂ
lung der mittelalterlichen Burg als begehbares Bild, als gebautes
historisches Panorama.
Die Burg am Ende
Kurz nachdem die Arbeiten in Schloss Tirol und Vaduz abgeschlosÂ
sen waren, brach der Erste Weltkrieg aus. Im politisch neu geordÂ
neten Europa nach 1918 herrschte kein Bedarf mehr an weiteren
Burgen. Von versprengten, immer wieder und bis heute anzutrefÂ
fenden privaten Initiativen zum Wiederaufbau von Ruinen oder
zum Bau von gänzlich neuen Burgen im Kontext » experimentelÂ
ler Geschichtsforschung « abgesehen, wurden seither keine nenÂ
nenswerten Wiederaufbauprojekte in die Tat umgesetzt.186 Eine
besondere Ausnahme, auf die hier nur in Andeutungen eingeÂ
gangen werden kann, bildete die Zeit des » Dritten Reichs «, als
die mittelalterliche Burg sowohl architektonisch, als auch bildÂ
haft – und im RĂĽckgriff auf im 19. Jahrhundert ausgeprägte MitÂ
telalterbilder – noch einmal politisch instrumentalisiert wurde.
So wurden etwa Burgen, insbesondere jene » im Osten «, als ZeuÂ
gen » wehrhafter «, » germanischer « Baukunst ab 1939 verstärkt
zur Kriegspropaganda eingesetzt, wie entsprechende ThemenÂ
hefte in dem von Alfred Rosenberg und Albert Speer herausgegeÂ
benen Architekturteil » Die Baukunst « der Zeitschrift » Die Kunst
im Deutschen Reich « von 1940 und 1943 belegen, an denen HeinÂ
rich Himmler, der Kunsthistoriker Dagobert Frey und nicht zuÂ
letzt auch Bodo Ebhardt beteiligt waren.187
Von der politisch konnotierten Rezeption historischer BurÂ
genbauten abgesehen, kam es aber auch zum Bau neuer Burgen,
mit dem – aus der Perspektive der Wiederentdeckung der Burg im
19. Jahrhundert – zugleich ein Endpunkt erreicht wurde : Die natiÂ
onalsozialistischen » Ordensburgen «188 schrieben die im 19. JahrÂ
hundert offen zu Tage getretene Funktionslosigkeit der mittelÂ
alterlichen Burg ebenso radikal wie konsequent fort : Unter der
Hülle des ästhetisch modernisierten mittelalterlichen Wehrbaus,
hinter der Maske eines pervertierten Rittertums, verbargen sich
62 Mittelalterbilder
Kreuzenstein
Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Kreuzenstein
- Subtitle
- Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
- Author
- Andreas Nierhaus
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79557-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 258