Page - 187 - in Kreuzenstein - Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
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Vergleich mit den ähnlich operierenden Dioramen der NaturkunÂ
demuseen an – allen voran den berĂĽhmten Settings des AmeriÂ
can Museum of Natural History in New York – wo mithilfe von
Tierpräparaten täuschend echte tableaux vivants aus dem Leben
der Arten nachgestellt werden. Auch die historischen » DioraÂ
men « in Kreuzenstein und MĂĽnchen sind Versuche, eine in dieÂ
ser Form zuvor nie dagewesene historische Einheit herzustellen,
Geschichte zu konstruieren.
Moderne Spolien
Die Präsenz der Spolien als Bruchstücke materieller historischer
Authentizität ist in Kreuzenstein zwar ungewöhnlich groß, war
im 19. und 20. Jahrhundert aber kein Einzelfall. Gerade fĂĽr die
Archi tektur des Historismus, der sich stärker als frĂĽhere EpoÂ
chen auf die Vergangenheit bezog, ist die Verwendung von SpoÂ
lien ein wichtiger, bisher kaum beachteter Aspekt, dessen UnterÂ
suchung neue Einblicke in das Geschichtsverständnis der Epoche
ebenso wie ihr Verhältnis zu den Dingen vermitteln kann. Anders
als die Spolienverwendung im Mittelalter und der Renaissance ist
der Umgang der Moderne mit den » alten Objekten « bislang noch
nicht zusammenhängend untersucht worden.564 An dieser Stelle
mĂĽssen einige wenige Beispiele genĂĽgen, um die Bandbreite des
Themas anzudeuten.
Abgesehen von ihrem quantitativen Höhepunkt im europäiÂ
schen Mittelalter ist die Verwendung von Spolien als ProduzenÂ
ten und Garanten von Authentizität ein genuines Phänomen der
Moderne und ihrer aufgeklärten, historisch kritischen, wissenÂ
schaftlichen Sicht der Vergangenheit. Nicht mehr Sakralbauten,
sondern Museen und Sammlungen – die neuen » Kirchen « – waÂ
ren nun der bevorzugte Rahmen der Spolie, aber auch eine histoÂ
risch reflexive Baukunst machte sie sich zu eigen, wenn sie geÂ
schichtlicher Legitimation bedurfte. Umbau und Modernisierung
der großen europäischen Städte führten schließlich mancherorts,
vor allem gegen Ende des 19. Jahrhunderts, zu einer verstärkten
Aufmerksamkeit fĂĽr die historische Stadt und ihre Bauten, die in
den Neubauten, die an die Stelle der abgebrochenen Häuser traÂ
ten, durch den Einbau von Fragmenten materiell präsent blieben –
was wertvoll erschien, aber nicht vor Ort erinnert werden konnte,
wanderte in die Lapidarien der städtischen Museen.565
Immer seltener gaben nun ökonomische Gründe allein den
Ausschlag zum Einsatz von Spolien, und selbst dort, wo solche AsÂ
pekte im Vordergrund standen, blieben Herkunft und ursprĂĽngliÂ
che Form der Bauteile zumindest unter der Oberfläche im Neubau
187Moderne
Spolien
Kreuzenstein
Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Kreuzenstein
- Subtitle
- Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
- Author
- Andreas Nierhaus
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79557-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 258