Page - 41 - in Kreuzenstein - Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
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des Dritten Reiches hochhält «, das » Lieblingsbild der deutschen
Jugend «99, treibt auf geradezu gespenstische Weise die oft unfreiÂ
willige Komik und den offensichtlichen Anachronismus der heÂ
roischen Rittergestalten an der Schwelle vom 19. zum 20. JahrÂ
hundert auf eine späte Spitze, die nicht mehr zu überbieten ist.
Ikonisch konzentriert, hat hier die Politisierung des mittelalterÂ
lichen Ritters ihren Höhepunkt erreicht.100
Modernisierungen
Die romantische Begeisterung fĂĽr das Mittelalter mĂĽndete in
ganz Europa in zahllosen Burgenrestaurierungen, Â rekonstrukÂ
tionen oder – wie im Fall von Kreuzenstein – weitgehenden NeuÂ
bauten. Die äußere Erscheinung der mittelalterlichen Vorbilder
wurde dabei mehr oder weniger gekonnt imitiert und interpreÂ
tiert, die historischen Funktionen als Wehrbau und Sitz des RitÂ
ters aber nur fingiert. Um mehr zu sein als bloĂźe malerische
Kulissen, mussten die neuen Burgen mit neuen Funktionen ausÂ
gestattet und auf diese Weise modernisiert werden. Wir haben
es also mit hybriden Gebilden zu tun, hinter deren mittelalterliÂ
chen Formen in der Regel zutiefst moderne Funktions und BeÂ
deutungsebenen zum Vorschein treten.
Als historische Monumente, die oft auch die Geschichte der
eigenen Familie repräsentierten, wurden die funktionslos geÂ
wordenen Wehr und Wohnbauten von ihren vorwiegend arisÂ
tokratischen Bauherrn zugleich musealisiert und vielfach der
Ă–ffentlichkeit zugänglich gemacht. Ausgestellt wurde gleichÂ
sam das Mittelalter selbst, in Gestalt vollständig eingerichteter
Wohnräume, in denen tatsächlich aber niemand mehr wohnte.
Die historische Funktion wurde damit zur Fiktion, und so fikÂ
tiv wie die Wohnfunktion waren auch die imaginären BewohÂ
ner dieser Burgen – zumeist historische oder legendäre, häufig
namenlose Rittergestalten, von denen erzählt wurde, sie hätten
dereinst in ebendiesen Gemächern gehaust.101 Die Räume sollten
zugleich den Eindruck erwecken, dass diese imaginären BewohÂ
ner soeben erst den Raum verlassen hätten und jederzeit wieder
zurückkehren könnten. Der reale Mangel an ritterlichem Leben
wurde, wenn es nicht etwa durch umfassende historische GemälÂ
dezyklen monumental ins Bild gesetzt wurde, durch ein surplus
an mehr oder weniger historischen » Wohnspuren « kompensiert,
dinghaften Stellvertretern des abwesenden Personals in den KuÂ
lissen eines Historiengemäldes.102 Die phantastische Idee, der
Ritter könnte jederzeit wieder bei der Türe hereintreten und das
historische Bild » zum Leben erwecken «, bestimmt topisch die
41Modernisierungen
Kreuzenstein
Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Kreuzenstein
- Subtitle
- Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
- Author
- Andreas Nierhaus
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79557-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 258