Page - 86 - in Kreuzenstein - Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
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Wiederaufbau und die Restaurierung von Burgen und Schlössern
fast ausschließlich für aristokratische Auftraggeber tätig waren.294
Charakteristisch fĂĽr ihre Arbeiten ist das groĂźe Interesse an den
unterschiedlichen historischen Dimensionen eines Bauwerks,
und seien sie – wie im Fall von Kreuzenstein – nur erfunden.295
Viele ihrer Bauten zeichnen sich durch formalen Reichtum aus
und nehmen auf die Geschichtlichkeit des Objekts RĂĽcksicht : WaÂ
ren die durch stilistische Unterschiede in Erscheinung getretenen
Spuren der Jahrhunderte an einem Bau bereits vorhanden, so wurÂ
den sie durch Restaurierung und Ergänzung verstärkt ; fehlten sie,
so konnten sie jederzeit kĂĽnstlich hergestellt werden.
In der atmosphärischen Dichte, seiner konzeptuellen und forÂ
malen Logik und Konsequenz sowie der bis heute eindrĂĽcklichen
Wirkung auf den Betrachter ist Kreuzenstein das Ergebnis des
Zusammenwirkens eines auĂźerordentlich aktiven Bauherrn mit
einer handwerklich versierten BauhĂĽtte, unterstĂĽtzt von mehr
oder weniger freiwillig in den Hintergrund tretenden ArchitekÂ
ten, deren » Handschrift « sich vor allem in der baukünstlerischen
Grundhaltung – etwa der fĂĽr Kaysers Schaffen insgesamt charakÂ
teristischen Freude an komplexen räumlichen Verschränkungen
– artikulieren konnte.296 Das im 19. Jahrhundert vielfach belegte
intensive persönliche Engagement des aristokratischen Bauherrn
und die enge intellektuelle Verbindung mit seinem Werk ist hier
wie in kaum einem anderen Bau seiner Zeit bis in das kleinste DeÂ
tail formbestimmend geworden.
Wiederaufbau
Am 25. September 1874, mehr als zwei Jahre nachdem sie Wien
verlassen hatten, feierten die Teilnehmer der von Wilczek finanÂ
zierten und streckenweise auch begleiteten Polarexpedition ihÂ
ren triumphalen Empfang in der Reichshaupt und ResidenzÂ
stadt. Als nun dieses wohl größte Abenteuer seines Lebens abÂ
geschlossen war, begann der damals 37Â
jährige Wilczek noch im
selben Jahr mit dem Wiederaufbau von Kreuzenstein, der ihn bis
ins 20. Jahrhundert hinein beschäftigen sollte.297 Auf der Suche
nach einem geeigneten Platz zur Errichtung einer neuen FamiÂ
liengruft war Wilczek bereits in den Sechzigerjahren auf die RuÂ
ine in Sichtweite von Schloss Seebarn aufmerksam geworden :
» Da zog es mich an die Stelle, an welcher ich in meiner Kindheit
so oft mit romantischem Sinnen geweilt hatte im Anblick meiÂ
nes geliebten Donaugeländes mit dem Kahlenberg und der guten
Wienerstadt, aus welcher die obere Spitze vom Stephansturm heÂ
rĂĽbergrĂĽĂźt. Der Platz, wo die Kapelle in Kreuzenstein gestanden
86 Eine moderne Burg