Page - 10 - in Radetzkymarsch
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Er las keine Bücher, der Hauptmann Trotta, und bemitleidete im stillen
seinen heranwachsenden Sohn, der anfangen mußte, mit Griffel, Tafel und
Schwamm, Papier, Lineal und Einmaleins zu hantieren, und auf den die
unvermeidlichen Lesebücher bereits warteten. Noch war der Hauptmann
überzeugt, daß auch sein Sohn Soldat werden müsse. Es fiel ihm nicht ein,
daß (von nun bis zum Erlöschen des Geschlechts) ein Trotta einen andern
Beruf würde ausüben können. Wenn er zwei, drei, vier Söhne gehabt hätte –
aber seine Frau war schwächlich, brauchte Arzt und Kuren, und
Schwangerschaft brachte sie in Gefahr –, alle wären sie Soldaten geworden.
So dachte damals noch der Hauptmann Trotta. Man sprach von einem neuen
Krieg, er war jeden Tag bereit. Ja, es schien ihm fast gewiß, daß er ausersehen
war, in der Schlacht zu sterben. Seine solide Einfalt hielt den Tod im Feld für
eine notwendige Folge kriegerischen Ruhms. Bis er eines Tages das erste
Lesebuch seines Sohnes, der gerade fünf Jahre alt geworden war und den ein
Hauslehrer schon, dank dem Ehrgeiz der Mutter, die Nöte der Schule viel zu
früh schmecken ließ, mit lässiger Neugier in die Hand nahm. Er las das
gereimte Morgengebet, es war seit Jahrzehnten das gleiche, er erinnerte sich
noch daran. Er las die »Vier Jahreszeiten«, den »Fuchs und den Hasen«, den
»König der Tiere«. Er schlug das Inhaltsverzeichnis auf und fand den Titel
eines Lesestückes, das ihn selbst zu betreffen schien, denn es hieß: »Franz
Joseph der Erste in der Schlacht bei Solferino«; las und mußte sich setzen. »In
der Schlacht bei Solferino« – so begann der Abschnitt – »geriet unser Kaiser
und König Franz Joseph der Erste in große Gefahr.« Trotta selbst kam darin
vor. Aber in welcher Verwandlung! »Der Monarch« – hieß es – »hatte sich im
Eifer des Gefechts so weit vorgewagt, daß er sich plötzlich von feindlichen
Reitern umdrängt sah. In diesem Augenblick der höchsten Not sprengte ein
blutjunger Leutnant auf schweißbedecktem Fuchs herbei, den Säbel
schwingend. Hei! wie fielen da die Hiebe auf Kopf und Nacken der
feindlichen Reiter!« Und ferner: »Eine feindliche Lanze durchbohrte die
Brust des jungen Helden, aber die Mehrzahl der Feinde war bereits
erschlagen. Den blanken Degen in der Hand, konnte sich der junge,
unerschrockene Monarch leicht der immer schwächer werdenden Angriffe
erwehren. Damals geriet die ganze feindliche Reiterei in Gefangenschaft. Der
junge Leutnant aber – Joseph Ritter von Trotta war sein Name – bekam die
höchste Auszeichnung, die unser Vaterland seinen Heldensöhnen zu vergeben
hat: den Maria-Theresien-Orden.«
Hauptmann Trotta ging, das Lesebuch in der Hand, in den kleinen
Obstgarten hinter das Haus, wo sich seine Frau an linderen Nachmittagen
beschäftigte, und fragte sie, die Lippen blaß, mit ganz leiser Stimme, ob ihr
das infame Lesestück bekannt gewesen sei. Sie nickte lächelnd. »Es ist eine
Lüge!« schrie der Hauptmann und schleuderte das Buch auf die feuchte Erde.
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Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik