Page - 23 - in Radetzkymarsch
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Erzähl nur weiter!« Carl Joseph schluckte, die Röte wich, er fror auf einmal.
Langsam berichtete er und mit vielen Pausen. Dann zog er den BĂĽcherzettel
aus der Tasche und reichte ihn dem Vater. »Recht anständige Lektüre!« sagte
der Bezirkshauptmann. »Bitte die Inhaltsangabe von ›Zriny‹!« Carl Joseph
erzählte das Drama Akt für Akt. Dann setzte er sich, müde, blaß, mit
trockener Zunge.
Er warf einen geheimen Blick nach der Uhr, es war erst halb elf.
Anderthalb Stunden ging noch die PrĂĽfung. Es konnte dem Alten einfallen,
Geschichte des Altertums zu prĂĽfen oder germanische Mythologie. Er ging
rauchend durchs Zimmer, die Linke am RĂĽcken. An der Rechten klapperte die
Manschette. Immer stärker wurden die Sonnenstreifen auf dem Teppich,
immer näher rückten sie zum Fenster. Die Sonne mußte schon hoch stehen.
Die Kirchenglocken begannen zu dröhnen, ganz nahe schlugen sie ins
Zimmer, als schaukelten sie knapp hinter den dichten Jalousien. Der Alte
prĂĽfte heute lediglich Literatur. Er sprach sich ausfĂĽhrlich ĂĽber die Bedeutung
Grillparzers aus und empfahl dem Sohn als »leichte Lektüre« für Ferientage
Adalbert Stifter und Ferdinand von Saar. Dann sprang er wieder auf
militärische Themen, Wachdienst, Dienstreglement Zweiter Teil,
Zusammensetzung eines Armeekorps, Kriegsstärke der Regimenter. Plötzlich
fragte er: »Was ist Subordination?« »Subordination ist die Pflicht des
unbedingten Gehorsams«, deklamierte Carl Joseph, »welchen jeder
Untergebene seinem Vorgesetzten und jeder Niedere… « »Halt!« unterbrach
ihn der Vater und verbesserte: »… sowie auchjeder Niedere dem Höheren« –
und Carl Joseph fuhr fort: »zu leisten schuldig ist, wenn … « –
»sobald«, korrigierte der Alte, »sobald diese die Befehlsgebung ergreifen.«
Carl Joseph atmete auf. Es schlug zwölf.
Jetzt erst begannen die Ferien. Noch eine Viertelstunde, und er hörte von
der Kaserne her den ersten ratternden Trommelwirbel der ausrĂĽckenden
Musik. Jeden Sonntag spielte sie um die Mittagszeit vor dem Amtshaus des
Bezirkshauptmanns, der in diesem Städtchen keinen Geringeren vertrat als
Seine Majestät den Kaiser. Carl Joseph stand verborgen hinter dem dichten
Weinlaub des Balkons und nahm das Spiel der Militärkapelle wie eine
Huldigung entgegen. Er fĂĽhlte sich ein wenig den Habsburgern verwandt,
deren Macht sein Vater hier repräsentierte und verteidigte und für die er
einmal selbst ausziehen sollte, in den Krieg und in den Tod. Er kannte die
Namen aller Mitglieder des Allerhöchsten Hauses. Er liebte sie alle aufrichtig,
mit einem kindlich ergebenen Herzen, vor allen andern den Kaiser, der gĂĽtig
war und groĂź, erhaben und gerecht, unendlich fern und sehr nahe und den
Offizieren der Armee besonders zugetan. Am besten starb man fĂĽr ihn bei
Militärmusik, am leichtesten beim Radetzkymarsch. Die flinken Kugeln
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Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Ă–sterreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik