Page - 61 - in Radetzkymarsch
Image of the Page - 61 -
Text of the Page - 61 -
Beruhigender als die andern war auch der Leutnant Kindermann, kein
Zweifel. Er bestand aus einer blonden, rosigen und durchsichtigen Substanz,
man hätte beinahe durch ihn durchgreifen können wie durch einen abendlich
besonnten, luftigen Dunst. Alles, was er sagte, war luftig und durchsichtig,
aus seinem Wesen fortgehaucht, ohne daß er sich vermindert hätte. Und der
Ernst sogar, mit dem er den ernsten Gesprächen folgte, hatte etwas sonnig
Lächelndes. Ein heiteres Nichts, saß er am Tischchen. »Servus!« pfiff er mit
seiner hohen Stimme, von der Oberst Kovacs sagte, sie sei eines der
Blasinstrumente der preußischen Armee. Fähnrich in der Reserve Bärenstein
erhob sich vorschriftsgemäß, aber gravitätisch. »Respekt, Herr Leutnant!«
sagte er. Guten Abend, Herr Doktor! hätte Carl Joseph ehrfurchtsvoll beinahe
geantwortet. »Ich störe nicht?« fragte er nur und setzte sich. »Der Doktor
Demant kommt heute zurück«, begann Bärenstein, »ich bin ihm zufällig am
Nachmittag begegnet!« »Ein reizender Kerl«, flötete Kindermann, es klang
wie ein zarter Windhauch, der über eine Harfe streicht, hinter dem starken,
forensischen Bariton Bärensteins. Kindermann, ständig darauf bedacht, sein
äußerst schwaches Interesse für Frauen durch eine besondere
Aufmerksamkeit wettzumachen, die er ihnen zu widmen vorgab, bekundete
ferner: »Und seine Frau – kennt ihr sie? – ein reizendes Geschöpf, eine
charmante Frau!« Und er hob bei dem Wort »charmant« seine Hand, an der
die lockeren Finger in der Luft tänzelten. »Ich hab’ sie noch als junges Mädel
gekannt«, sagte der Fähnrich. »Interessant«, sagte Kindermann. Er heuchelte
deutlich. »Ihr Vater war früher einer der reichsten Hutfabrikanten«, fuhr der
Fähnrich fort. Es war, als läse er in Akten. Er schien über seinen Satz
erschrocken und hielt ein. Das Wort »Hutfabrikanten« klang ihm zu
zivilistisch, er saß schließlich nicht mit Rechtsanwälten zusammen. Er schwor
sich im stillen zu, von nun ab jeden Satz genau vorher zu überlegen. Soviel
war er der Kavallerie schon schuldig. Er versuchte, Trotta anzusehen. Der saß
just an der Linken, und vor dem rechten Auge trug Bärenstein das Monokel.
Deutlich konnte er nur den Leutnant Kindermann sehen: und der war
gleichgültig. Um zu erkennen, ob die familiäre Erwähnung des
Hutfabrikanten einen niederschmetternden Eindruck auf den Leutnant Trotta
gemacht habe, zog Bärenstein sein Zigarettenetui und hielt es links hin,
entsann sich gleichzeitig, daß Kindermann rangälter war, und sagte, nach
rechts gewandt, hastig: »Pardon!«
Schweigend rauchten jetzt alle drei. Carl Josephs Blicke richteten sich
gegen das Bildnis des Kaisers an der Wand gegenüber. Da war Franz Joseph
in blütenweißer Generalsuniform, die breite, blutrote Schärpe quer über der
Brust und den Orden des goldenen Vlieses am Halse. Der große, schwarze
Feldmarschallshut mit dem üppigen, pfauengrünen Reiherbusch lag neben
dem Kaiser auf einem wacklig aussehenden Tischchen. Das Bild schien ganz
61
back to the
book Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik