Page - 115 - in Radetzkymarsch
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beiden Seiten der Landstraße, mit Fröschen, Fieberbazillen und tückischem
Gras, das den ahnungslosen, des Landes unkundigen Wanderern eine
furchtbare Lockung in einen furchtbaren Tod bedeutete. Viele kamen um, und
ihre letzten Hilferufe hatte keiner gehört. Alle aber, die dort geboren waren,
kannten die Tücke des Sumpfes und besaßen selbst etwas von seiner Tücke.
Im Frühling und im Sommer war die Luft erfüllt von einem unaufhörlichen,
satten Quaken der Frösche. Unter den Himmeln jubelte ein ebenso sattes
Trillern der Lerchen. Und es war eine unermüdliche Zwiesprach’ des
Himmels mit dem Sumpf.
Unter den Händlern, von denen wir gesprochen haben, waren viele Juden.
Eine Laune der Natur, vielleicht das geheimnisvolle Gesetz einer unbekannten
Abstammung von dem legendären Volk der Chasaren machte, daß viele unter
den Grenzjuden rothaarig waren. Auf ihren Köpfen loderte das Haar. Ihre
Barte waren wie Brände. Auf den Rücken ihrer hurtigen Hände starrten rote
und harte Borsten wie winzige Spieße. Und in ihren Ohren wucherte rötliche,
zarte Wolle wie der Dunst von den roten Feuern, die im Innern ihrer Köpfe
glühen mochten.
Wer immer von Fremden in diese Gegend geriet, mußte allmählich
verlorengehn. Keiner war so kräftig wie der Sumpf. Niemand konnte der
Grenze standhalten. Um jene Zeit begannen die hohen Herren in Wien und
Petersburg bereits, den großen Krieg vorzubereiten. Die Menschen an der
Grenze fühlten ihn früher kommen als die andern; nicht nur, weil sie gewohnt
waren, kommende Dinge zu erahnen, sondern auch, weil sie jeden Tag die
Vorzeichen des Untergangs mit eigenen Augen sehen konnten. Auch von
diesen Vorbereitungen noch zogen sie Gewinn. So mancher lebte von
Spionage und Gegenspionage, bekam österreichische Gulden von der
österreichischen Polizei und russische Rubel von der russischen. Und in der
weltfernen, sumpfigen Öde der Garnison verfiel der und jener Offizier der
Verzweiflung, dem Hasardspiel, den Schulden und finsteren Menschen. Die
Friedhöfe der Grenzgarnisonen bargen viele junge Leiber schwacher Männer.
Aber auch hier exerzierten die Soldaten wie in allen andern Garnisonen des
Reiches. Jeden Tag rückte das Jägerbataillon, vom Frühlingskot bespritzt,
grauen Schlamm an den Stiefeln, in die Kaserne ein. Major Zoglauer ritt
voran. Den zweiten Zug der ersten Kompanie führte Leutnant Trotta. Den
Takt, in dem die Jäger marschierten, gab ein breites, biederes Signal des
Hornisten an, nicht der hochmütige Fanfarenruf, der bei den Ulanen das
Hufgetrappel der Rösser ordnete, unterbrach und umschmetterte. Zu Fuß ging
Carl Joseph, und er bildete sich ein, daß ihm wohler war. Rings um ihn
knirschten die genagelten Stiefel der Jäger über den kantigen
Schottersteinchen, die immer wieder, jede Woche im Frühling, auf das
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Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik