Page - 131 - in Radetzkymarsch
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ausg’schaut!« und legte sich wieder in die Kissen.
Der Bezirkshauptmann stellte das Bild auf den Tisch, neben die Mutter
Gottes, und kehrte ans Bett zurück. »Da geht’s bald aufwärts!« sagte Jacques
lächelnd und zeigte auf den Suffit. »Hast noch lange Zeit!« erwiderte der
Bezirkshauptmann. »Nein, nein!« sagte Jacques und lachte sehr hell. »Lang
genug hab’ ich Zeit gehabt. Jetzt geht’s hinauf. Schau mal nach, wie alt ich
bin. Ich hab’s vergessen.« »Wo soll ich nachsehn?« »Da unten!« sagte
Jacques und deutete auf das Bettgestell. Es enthielt eine Schublade. Der
Bezirkshauptmann zog sie heraus. Er sah ein sauber verschnürtes Päckchen in
braunem Packpapier, daneben eine runde Blechschachtel mit einem bunten,
aber verblaßten Bild auf dem Deckel, das eine Schäferin mit weißer Perücke
darstellte, und erinnerte sich, daĂź es eine jener Konfektschachteln war, die in
seiner Kindheit unter manchen Weihnachtsbäumen der Kameraden gelegen
hatten. »Hier ist das Büchlein!« sagte Jacques. Es war Jacques’ Militärbuch.
Der Bezirkshauptmann setzte den Zwicker auf und las: »Franz Xaver Joseph
Kromichl.« »Ist das dein Büchl?« fragte Herr von Trotta. »Freilich!« sagte
Jacques. »Aber du heißt ja Franz Xaver Joseph?« »Werd’ schon so heißen!«
»Warum hast dich denn Jacques genannt?« »Das hat er so befohlen!« »So«,
sagte Herr von Trotta und las das Geburtsjahr. »Dann bist du also
zweiundachtzig im August!« »Was ist denn heut?« »Der neunzehnte Mai!«
»Wie lang haben wir noch bis August?« »Drei Monate!« »So!« sagte Jacques
ganz ruhig und lehnte sich wieder zurück. »Das erleb’ ich also nicht mehr!«
»Mach die Schachtel auf!« sagte Jacques, und der Bezirkshauptmann
öffnete die Schachtel. »Da liegt der heilige Antonius und der heilige Georg«,
sprach Jacques weiter. »Die kannst du behalten. Dann ein Stück Lohwurzel,
gegen Fieber. Das gibst deinem Sohn, dem Carl Joseph. Grüß ihn schön von
mir! Das kann er brauchen, dort ist’s sumpfig. Und jetzt mach’s Fenster zu.
Ich möcht’ schlafen!«
Es war Mittag geworden. Das Bett lag jetzt ganz im hellsten Sonnenschein.
An den Fenstern klebten reglos groĂźe spanische Fliegen, und der
Kanarienvogel zwitscherte nicht mehr, sondern knabberte am Zucker. Zwölf
Schläge dröhnten vom Turm des Rathauses, ihr goldenes Echo verhallte im
Hof. Jacques atmete still. Der Bezirkshauptmann ging ins Speisezimmer.
»Ich esse nicht!« sagte er zu Fräulein Hirschwitz. Er überblickte das
Speisezimmer. Hier, an dieser Stelle, war Jacques immer mit der Platte
gestanden, so war er an den Tisch getreten, und so hatte er sie dargereicht.
Herr von Trotta konnte heute nicht essen. Er ging in den Hof hinunter, setzte
sich auf die Bank an der Wand unter das braune Gebälk des hölzernen
Vorsprungs und wartete auf die Barmherzige Schwester. »Er schläft jetzt!«
sagte er, als sie kam. Der zarte Wind fächelte von Zeit zu Zeit vorüber. Der
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Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Ă–sterreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik