Page - 134 - in Radetzkymarsch
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auf und lächelte durch das Fenster. Die goldene Nachmittagssonne lag schon
auf dem hölzernen Gebälk und spielte hoch oben in den grünen Kronen. Die
Mücken tänzelten abendlich und müd, in zarten, runden Schwärmen, und
manchmal surrte schwer ein Maikäfer an den Sitzenden vorüber, geradewegs
ins Laub und ins Verderben und wahrscheinlich in die offenen Schnäbel der
Spatzen. Der Wind ging stärker. Jetzt schwiegen die Vögel. Tiefblau wurde
der Ausschnitt des Himmels und rosa die weißen Wölkchen.
»Jetzt gehst du ins Bett!« sagte Herr von Trotta zu Jacques.
»Ich muß noch das Bild hinauftragen!« murmelte der Alte, ging und holte
das Porträt des Helden von Solferino und verschwand im Dunkel der Treppe.
Der Wachtmeister sah ihm nach und sagte: »Merkwürdig!«
»Ja, recht merkwürdig!« antwortete Herr von Trotta.
Jacques kam zurück und näherte sich der Bank. Er setzte sich ohne ein
Wort und überraschend zwischen den Bezirkshauptmann und den
Wachtmeister, öffnete den Mund, atmete tief, und ehe sich noch beide ihm
zugewandt hatten, sank sein alter Nacken auf die Lehne, seine Hände fielen
auf den Sitz, sein Pelz öffnete sich, seine Beine streckten sich starr, und die
aufwärtsgeschweiften Pantoffelspitzen ragten in die Luft. Der Wind fuhr
heftig und kurz durch den Hof. Sachte segelten oben die rötlichen Wölkchen
dahin. Die Sonne war hinter der Mauer verschwunden. Der
Bezirkshauptmann bettete den silbernen Schädel seines Dieners in seine linke
Hand und tastete mit der Rechten nach dem Herzen des Ohnmächtigen. Der
Wachtmeister stand erschrocken da, seine schwarze Mütze lag am Boden. Die
Barmherzige Schwester kam mit breiten, eiligen Schritten. Sie nahm die Hand
des Alten, hielt sie eine Weile zwischen den Fingern, legte sie sanft auf den
Pelz und machte das Zeichen des Kreuzes. Sie sah den Wachtmeister still an.
Er verstand und griff Jacques unter die Arme. Sie faßte seine Beine. So trugen
sie ihn in die kleine Stube, legten ihn auf das Bett, falteten ihm die Hände und
umwanden sie mit dem Rosenkranz und stellten ihm das Bild der Mutter
Gottes zu Häupten. An seinem Bett knieten sie nieder, und der
Bezirkshauptmann betete. Er hatte schon lange nicht mehr gebetet. Aus
verschütteten Tiefen seiner Kindheit kam ein Gebet zu ihm wieder, ein Gebet
für das Seelenheil toter Anverwandter, und dieses flüsterte er. Er erhob sich,
warf einen Blick auf die Hose, fegte den Staub von den Knien und schritt
hinaus, gefolgt vom Wachtmeister.
»So möcht’ ich einmal sterben, lieber Slama!« sagte er statt des
gewöhnlichen »Grüß Gott!« und ging ins Herrenzimmer.
Er schrieb die Anordnungen für die Aufbahrung und das Begräbnis seines
Dieners auf einen großen Bogen Kanzleipapier, mit allem Bedacht, wie ein
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Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik