Page - 139 - in Radetzkymarsch
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Der Leutnant ging in sein Zimmer, öffnete den Schrank und legte in die
oberste Lade das Stückchen Wurzel gegen Fieber, neben die Briefe
Katharinas und den Säbel Max Demants. Er zog die Taschenuhr des Doktors.
Er glaubte, den dünnen Sekundenzeiger hurtiger als je einen andern über das
winzige Rund kreisen zu sehn und heftiger das klingende Ticken zu
vernehmen. Die Zeiger hatten kein Ziel, das Ticken hatte keinen Sinn. Bald
werde ich auch Papas Taschenuhr ticken hören, er wird sie mir vermachen. In
meiner Stube wird das Porträt des Helden von Solferino hängen und der Säbel
Max Demants und ein Erbstück von Papa. Mit mir wird alles begraben. Ich
bin der letzte Trotta!
Er war jung genug, um süße Wollust aus seiner Trauer zu schöpfen und aus
der Sicherheit, der Letzte zu sein, eine schmerzliche Würde. Von den nahen
Sümpfen kam das breite und schmetternde Quaken der Frösche. Die
untergehende Sonne rötete Möbel und Wände des Zimmers. Man hörte einen
leichten Wagen heranrollen, das weiche Getrapp der Hufe auf der staubigen
Straße. Der Wagen hielt, eine strohgelbe Britschka, das sommerliche Vehikel
des Grafen Chojnicki. Dreimal unterbrach seine knallende Peitsche den
Gesang der Frösche.
Er war neugierig, der Graf Chojnicki. Keine andere Leidenschaft als die
Neugierde schickte ihn auf Reisen in die weite Welt, fesselte ihn an die Tische
der großen Spielsäle, schloß ihn hinter die Türen seines alten Jagdpavillons,
setzte ihn auf die Bank der Parlamentarier, gebot ihm jeden Frühling die
Heimkehr, ließ ihn seine gewohnten Feste feiern und verstellte ihm den Weg
zum Selbstmord. Lediglich die Neugierde erhielt ihn am Leben. Er war
unersättlich neugierig. Der Leutnant Trotta hatte ihm erzählt, daß er seinen
Vater, den Bezirkshauptmann, erwarte; und obwohl Graf Chojnicki ein gutes
Dutzend österreichischer Bezirkshauptleute kannte und zahllose Väter von
Leutnants, war er dennoch begierig, den Bezirkshauptmann Trotta
kennenzulernen. »Ich bin der Freund Ihres Sohnes«, sagte Chojnicki. »Sie
sind mein Gast. Ihr Sohn wird es Ihnen gesagt haben! Ich habe Sie übrigens
schon irgendwo gesehn. Sind Sie nicht mit dem Doktor Swoboda im
Handelsministerium bekannt?« »Wir sind Schulkollegen!« »Na also!« rief
Chojnicki. »Das ist mein guter Freund, der Swoboda. Etwas verteppert mit
der Zeit! Aber ein feiner Mann! Gestatten Sie mir, ganz aufrichtig zu sein? –
Sie erinnern mich an Franz Joseph.«
Es wurde einen Augenblick still. Der Bezirkshauptmann hatte niemals den
Namen des Kaisers ausgesprochen. Bei feierlichen Anlässen sagte man: Seine
Majestät. Im gewöhnlichen Leben sagte man: der Kaiser. Dieser Chojnicki
aber sagte: Franz Joseph, wie er soeben Swoboda gesagt hatte. »Ja, Sie
erinnern mich an Franz Joseph«, wiederholte Chojnicki.
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Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik