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Radetzkymarsch
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Der Bezirkshauptmann rückte wieder näher an den Tisch und fragte: »Und warum – Pardon! – wäre es genauso überflüssig, dem Vaterland zu dienen, wie Gold zu machen?« »Weil das Vaterland nicht mehr da ist.« »Ich verstehe nicht!« sagte Herr von Trotta. »Ich hab’ mir’s gedacht, daß Sie mich nicht verstehen!« sagte Chojnicki. »Wir alle leben nicht mehr!« Es war sehr still. Der letzte Dämmer des Tages war längst erloschen. Man hätte durch die schmalen Sparren der grünen Jalousien schon ein paar Sterne am Himmel sehen können. Den breiten und schmetternden Gesang der Frösche hatte der leise, metallische der nächtlichen Feldgrillen abgelöst. Von Zeit zu Zeit hörte man den harten Ruf des Kuckucks. Der Bezirkshauptmann, vom Alkohol, von der sonderlichen Umgebung und von den ungewöhnlichen Reden des Grafen in einen nie gekannten, beinahe verzauberten Zustand versetzt, blickte verstohlen auf seinen Sohn, lediglich, um einen vertrauten und nahen Menschen zu sehn. Aber auch Carl Joseph schien ihm gar nicht mehr vertraut und nahe! Vielleicht hatte Chojnicki richtig gesprochen, und sie waren in der Tat alle nicht mehr da: das Vaterland nicht und nicht der Bezirkshauptmann und nicht der Sohn! Mit großer Anstrengung brachte Herr von Trotta noch die Frage zustande: »Ich verstehe nicht! Wie sollte die Monarchie nicht mehr dasein?« »Natürlich!« erwiderte Chojnicki, »wörtlich genommen, besteht sie noch. Wir haben noch eine Armee« – der Graf wies auf den Leutnant – »und Beamte« – der Graf zeigte auf den Bezirkshauptmann. »Aber sie zerfällt bei lebendigem Leibe. Sie zerfällt, sie ist schon verfallen! Ein Greis, dem Tode geweiht, von jedem Schnupfen gefährdet, hält den alten Thron, einfach durch das Wunder, daß er auf ihm noch sitzen kann. Wie lange noch, wie lange noch? Die Zeit will uns nicht mehr! Diese Zeit will sich erst selbständige Nationalstaaten schaffen! Man glaubt nicht mehr an Gott. Die neue Religion ist der Nationalismus. Die Völker gehn nicht mehr in die Kirchen. Sie gehn in nationale Vereine. Die Monarchie, unsere Monarchie, ist gegründet auf der Frömmigkeit: auf dem Glauben, daß Gott die Habsburger erwählt hat, über soundso viel christliche Völker zu regieren. Unser Kaiser ist ein weltlicher Bruder des Papstes, es ist Seine K. u. K. Apostolische Majestät, keine andere wie er apostolisch, keine andere Majestät in Europa so abhängig von der Gnade Gottes und vom Glauben der Völker an die Gnade Gottes. Der deutsche Kaiser regiert, wenn Gott ihn verläßt, immer noch; eventuell von der Gnade der Nation. Der Kaiser von Österreich-Ungarn darf nicht von Gott verlassen werden. Nun aber hat ihn Gott verlassen!« 143
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Radetzkymarsch
Title
Radetzkymarsch
Author
Joseph Roth
Date
1932
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
294
Keywords
Roman, Geschichte, KUK, Ă–sterreich, Ungarn
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Teil 1 3
    1. Kapitel 1 5
    2. Kapitel 2 20
    3. Kapitel 3 31
    4. Kapitel 4 45
    5. Kapitel 5 53
    6. Kapitel 6 69
    7. Kapitel 7 81
    8. Kapitel 8 100
  2. Teil 2 111
    1. Kapitel 1 112
    2. Kapitel 2 122
    3. Kapitel 3 136
    4. Kapitel 4 153
    5. Kapitel 5 167
    6. Kapitel 6 178
    7. Kapitel 7 191
  3. Teil 3 202
    1. Kapitel 1 203
    2. Kapitel 2 219
    3. Kapitel 3 236
    4. Kapitel 4 251
    5. Kapitel 5 272
    6. Kapitel 6 281
  4. Epilog 288
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