Page - 145 - in Radetzkymarsch
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Mappe unter dem Arm, und es war, als hätte sich die prophetische Gabe des
Grafen, die geschichtliche Zukunft zu sehen, auch auf den Bezirkshauptmann
übertragen und ihn fähig gemacht, die Zukunft seines Nachkommen zu
erkennen. Halb geleert und traurig waren Teller, Terrinen, Flaschen und
Gläser. Zauberhaft leuchteten die Lichter in den Röhren ringsum an den
Wänden. Zwei alte, backenbärtige Diener, beide dem Kaiser Franz Joseph
und dem Bezirkshauptmann ähnlich wie Brüder, begannen, den Tisch
abzuräumen. Von Zeit zu Zeit fiel der harte Ruf des Kuckucks wie ein
Hammer auf das Zirpen der Grillen. Chojnicki hob eine Flasche hoch. »Den
heimischen« – so nannte er den Schnaps – »müssen Sie noch trinken. Es ist
nur noch ein Rest!« Und sie tranken den letzten Rest des »Heimischen«.
Der Bezirkshauptmann zog seine Uhr, konnte aber den Stand der Zeiger
nicht genau erkennen. Es war, als rotierten sie so schnell über den weißen
Kreis des Zifferblattes, daß es hundert Zeiger gab statt der regelrechten zwei.
Und statt der zwölf Ziffern gab es zwölfmal zwölf! Denn die Ziffern drängten
sich aneinander wie sonst nur die Striche der Minuten. Es konnte neun Uhr
abends sein oder schon Mitternacht. »Zehn Uhr!« sagte Chojnicki.
Die backenbärtigen Diener faßten die Gäste sachte bei den Armen und
führten sie hinaus. Die große Kalesche Chojnickis wartete. Der Himmel war
sehr nahe, eine gute, vertraute, irdische Schale aus einem vertrauten blauen
Glas, lag er, mit der Hand zu greifen, über der Erde. Der steinerne Pfeiler
rechts vom Pavillon schien ihn zu berühren. Die Sterne waren von irdischen
Händen in den nahen Himmel mit Stecknadeln gespießt wie Fähnchen in eine
Landkarte. Manchmal drehte sich die ganze blaue Nacht um den
Bezirkshauptmann, schaukelte sachte und hielt wieder still. Die Frösche
quakten in den unendlichen Sümpfen. Es roch feucht nach Regen und Gras.
Die gespenstisch weißen Pferde vor dem schwarzen Wagen überragte der
Kutscher im schwarzen Mantel. Die Schimmel wieherten, und weich wie
Katzenpfoten scharrten ihre Hufe den feuchten, sandigen Boden.
Der Kutscher schnalzte mit der Zunge, und sie fuhren.
Sie fuhren den Weg zurück, den sie gekommen waren, bogen in die breite,
geschotterte Birkenallee und erreichten die Laternen, die das »neue Schloß«
ankündigten. Die silbernen Birkenstämme schimmerten noch heller als die
Laternen. Die starken Gummiräder der Kalesche rollten glatt und mit einem
dumpfen Murmeln über den Schotter, man hörte nur den harten Aufschlag der
geschwinden Schimmelhufe. Die Kalesche war breit und bequem. Man lehnte
in ihr wie in einem Ruhebett. Leutnant Trotta schlief. Er saß neben seinem
Vater. Sein blasses Angesicht lag fast waagerecht auf der Polsterlehne, durch
das offene Fenster strich der Wind darüber. Von Zeit zu Zeit beleuchtete es
eine Laterne. Dann sah Chojnicki, der seinen Gästen gegenübersaß, die
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book Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik