Page - 150 - in Radetzkymarsch
Image of the Page - 150 -
Text of the Page - 150 -
Abgeordneten, die Volksführer, die Zeitungen fallen über Sie her, und alle
werden wieder freigelassen. Lassen Sie den Sokolverein auflösen – und Sie
bekommen eine Rüge von der Statthalterei. Autonomie! Ja, wartet nur! Hier,
in meinem Bezirk, endet jede Unruhe mit Schießen. Ja, solange ich hier lebe,
bin ich Regierungskandidat und werde gewählt. Dieses Land ist
glücklicherweise weit genug entfernt von allen modernen Ideen, die sie in
ihren dreckigen Redaktionen aushecken!«
Er trat zu Carl Joseph und sagte mit der Betonung und der Sachkenntnis
eines Mannes, der an den Umgang mit Betrunkenen gewohnt ist: »Ihr Herr
Papa muß abreisen!« Carl Joseph verstand auch sofort. Er konnte sich sogar
erheben. Mit verglasten Blicken suchte er den Vater. »Es tut mir leid, Vater!«
»Ich habe einigermaßen Sorge um ihn!« sagte der Bezirkshauptmann zu
Chojnicki.
»Mit Recht!« antwortete Chojnicki. »Er muß aus dieser Gegend weg. Wenn
er Urlaub hat, werde ich versuchen, ihm ein wenig von der Welt zu zeigen. Er
wird dann keine Lust mehr haben zurückzukommen. Vielleicht verliebt er
sich auch –«
»Ich verlieb’ mich nicht«, sagte Carl Joseph sehr langsam.
Sie fuhren ins Hotel zurück.
Es fiel während des ganzen Weges nur ein Wort, ein einziges Wort:
»Vater!« sagte Carl Joseph und gar nichts mehr.
Der Bezirkshauptmann erwachte am nächsten Tag sehr spät, man hörte
schon die Trompeten des heimkehrenden Bataillons. In zwei Stunden ging der
Zug. Carl Joseph kam. Schon knallte unten das Peitschensignal Chojnickis.
Der Bezirkshauptmann aß am Tisch der Jägeroffiziere im Bahnhofsrestaurant.
Seit der Abreise aus seinem Bezirk W. war eine ungeheuer lange Zeit
verstrichen. Er erinnerte sich mühsam, daß er erst vor zwei Tagen in den Zug
gestiegen war. Er saß, außer dem Grafen Chojnicki der einzige Zivilist, am
langen, hufeisenförmigen Tisch der bunten Offiziere, dunkel und hager, unter
dem Wandbildnis Franz Josephs des Ersten, dem bekannten, allseits
verbreiteten Porträt des Allerhöchsten Kriegsherrn im blütenweißen
Feldmarschallsrock mit blutroter Schärpe. Just unter des Kaisers weißem
Backenbart und fast parallel zu ihm ragten einen halben Meter tiefer die
schwarzen, leicht angesilberten Flügel des Trottaschen Backenbartes. Die
jüngsten Offiziere, die an den Enden des Hufeisens untergebracht waren,
konnten die Ähnlichkeit zwischen Seiner Apostolischen Majestät und deren
Diener sehn. Auch der Leutnant Trotta konnte von seinem Platz aus das
Angesicht des Kaisers mit dem seines Vaters vergleichen. Und ein paar
150
back to the
book Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik