Page - 160 - in Radetzkymarsch
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Unerrechenbare und Unerklärliche rührten, es enthüllten und häufig sogar
bezwangen? Nein! Er wollte unmittelbar mit den Rätseln des Geschicks
kämpfen und sie auflösen! Und er setzte sich zum Bakkarat. Und er gewann
in der Tat. Und er hatte drei Neuner und drei Achter hintereinander, während
Trotta lauter Buben und Könige bekam, Kapturak nur zweimal Vierer und
Fünfer. Und da vergaß sich der Hauptmann Wagner. Und obwohl es zu seinen
Grundsätzen gehörte, das Glück nicht merken zu lassen, daß man seiner
sicher sei, verdreifachte er plötzlich den Einsatz. Denn er hoffte, den Wechsel
heute noch »hereinzukriegen«. Und hier begann das Unheil. Der Hauptmann
verlor, und Trotta hatte gar nicht aufgehört zu verlieren. Schließlich gewann
Kapturak fünfhundert Kronen. Der Hauptmann mußte einen neuen
Schuldschein unterschreiben.
Wagner und Trotta standen auf. Sie fingen an, Cognac mit
Neunziggrädigem zu mischen und diesen wieder mit Okočimer Bier. Der
Hauptmann Wagner schämte sich seiner Niederlage, nicht anders als ein
General, der besiegt aus einer Schlacht hervorgeht, zu der er einen Freund
geladen hat, um den Sieg mit ihm zu teilen. Der Leutnant aber teilte die
Scham des Hauptmanns. Und beide wußten, daß sie einander unmöglich ohne
Alkohol in die Augen sehen konnten. Sie tranken langsam, in kleinen,
regelmäßigen Schlucken.
»Auf dein Wohl!« sagte der Hauptmann. »Auf dein Wohl!« sagte Trotta.
Sooft sie diese Wünsche wiederholten, schauten sie sich mutig an und
bewiesen einander, daß ihnen ihr Unheil gleichgültig war. Plötzlich aber
schien es dem Leutnant, daß der Hauptmann, sein bester Freund, der
unglücklichste Mann auf dieser Erde sei, und er fing an, bitterlich zu weinen.
»Warum weinst du?« fragte der Hauptmann, und auch seine Lippen bebten
schon. »Über dich, über dich!« sagte Trotta, »mein armer Freund!« Und sie
verloren sich teils in stummen, teils in wortreichen Wehklagen.
In Hauptmann Wagners Erinnerung tauchte ein alter Plan auf. Er bezog sich
auf das Pferd Trottas, das er jeden Tag zu reiten pflegte, das er liebgewonnen
hatte und zuerst selbst hatte kaufen wollen. Es war ihm gleich darauf
eingefallen, daß er, wenn er soviel Geld hätte, wie das Pferd kosten mußte,
ohne Zweifel ein Vermögen im Bakkarat gewinnen und mehrere Pferde
besitzen könnte. Hierauf dachte er daran, dem Leutnant das Pferd
abzunehmen, es nicht zu zahlen, sondern zu belehnen, mit dem Geld zu
spielen und dann das Tier zurückzukaufen. War das unfair? Wem konnte es
schaden? Wie lange dauerte es? Zwei Stunden Spiel, und man hatte alles!
Man gewann am sichersten, wenn man sich ohne Angst, ohne auch nur ein
bißchen zu rechnen, an den Spieltisch setzte. Oh, wenn man nur ein einziges
Mal so spielen hätte können wie ein reicher, unabhängiger Mann! Einmal!
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Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik