Page - 162 - in Radetzkymarsch
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»Zahlen!« ruft der Hauptmann. – Er umarmt den Leutnant. Er drückt ihn
lange und herzlich an die Brust. »Also mit Gott!« sagt er, die Augen voller
Tränen.
Auf der Straße war bereits der ganze Morgen vorhanden, der Morgen einer
kleinen östlichen Stadt, voll vom Duft der Kastanienkerzen, des eben
erblühten Flieders und der frischen, säuerlichen, schwarzen Brote, die von
den Bäckern in großen Körben ausgetragen wurden. Die Vögel lärmten, es
war ein unendliches Meer aus Gezwitscher, ein tönendes Meer in der Luft.
Ein blaßblauer, durchsichtiger Himmel spannte sich glatt und nahe über den
grauen, schiefen Schindeldächern der kleinen Häuser. Die winzigen
Fuhrwerke der Bauern rollten weich und langsam und noch schläfrig über die
staubige Straße und verstreuten nach allen Seiten Strohhalme, Häcksel und
trockenes Heu vom vorigen Jahr. Am freien östlichen Horizont stieg sehr
schnell die Sonne empor. Ihr entgegen ging Leutnant Trotta, ein wenig
ernüchtert durch den sachten Wind, der dem Tag voranwehte, und erfüllt von
der stolzen Absicht, den Kameraden zu retten. Es war nicht einfach, das Pferd
zu verkaufen, ohne vorher den Bezirkshauptmann um Erlaubnis zu fragen.
Man tat es für den Freund! Es war auch nicht so einfach – und was wäre für
den Leutnant Trotta in diesem Leben einfach gewesen! –, Chojnicki das Pferd
anzutragen. Aber je schwieriger das Unterfangen erschien, desto rüstiger und
entschlossener marschierte ihm Trotta entgegen. Schon schlug es vom Turm.
Trotta erreichte den Eingang zum »neuen Schloß« in dem Augenblick, in dem
Chojnicki, gestiefelt und die Peitsche in der Hand, sein sommerliches Gefährt
besteigen wollte. Er bemerkte die falsche rötliche Frische im hageren und
unrasierten Gesicht des Leutnants, die Schminke der Trinker. Sie lag über der
wirklichen Blässe des Angesichts wie der Widerschein einer roten Lampe
über einem weißen Tisch. Er geht zugrunde! dachte Chojnicki.
»Ich wollte Ihnen einen Vorschlag machen!« sagte Trotta. »Wollen Sie
mein Pferd?« – Die Frage erschreckte ihn selbst. Auf einmal wurde es ihm
schwer zu sprechen.
»Sie reiten nicht gern, wie ich weiß, Sie sind ja auch von der Kavallerie
weg, nun ja – es ist Ihnen also einfach unsympathisch, sich um das Tier zu
sorgen, da Sie es doch nicht gern benützen, nun ja – aber es könnte Ihnen
doch leid tun.«
»Nein!« sagte Trotta. Er wollte nichts verheimlichen. »Ich brauche Geld.«
Der Leutnant schämte sich. Es gehörte nicht zu den unehrenhaften,
verpönten, zweifelhaften Handlungen, Geld bei Chojnicki zu leihen. Und
dennoch war es Carl Joseph, als begänne er mit der ersten Anleihe eine neue
Etappe seines Lebens und als bedürfte er dazu der väterlichen Erlaubnis. Der
Leutnant schämte sich. Er sagte: »Um es klar zu sagen: Ich habe für einen
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Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik