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Radetzkymarsch
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war bequemer als ein Kind. Sobald sein Anfall vorbei war, bat er sie zu kommen. Sie kam, erlaubte ihm einen Kuß und fĂŒhrte ihn nach Hause. »Auf frohes Wiedersehn!« sagte Herr von Taußig dem Professor, der ihn bis vor das Gitter der geschlossenen Abteilung begleitete. »Auf Wiedersehn, recht bald!« sagte die Frau. (Sie liebte die Zeiten, in denen ihr Mann krank war.) Und sie fuhren nach Hause. Vor zehn Jahren hatte sie zuletzt Chojnicki besucht, damals noch nicht mit Taußig verheiratet, nicht weniger schön als heute und um ganze zehn Jahre jĂŒnger. Auch damals war sie nicht allein zurĂŒckgefahren. Ein Leutnant, jung und traurig wie dieser hier, hatte sie begleitet. Er hieß Ewald und war Ulan. (Ulanen hatte es hier damals gegeben.) Es wĂ€re der erste wirkliche Schmerz ihres Lebens gewesen, ohne Begleitung zurĂŒckzufahren; und eine EnttĂ€uschung, etwa von einem Oberleutnant begleitet zu werden. FĂŒr höhere Chargen fĂŒhlte sie sich noch lange nicht alt genug. Zehn Jahre spĂ€ter – vielleicht. Aber das Alter nahte mit grausamen und lautlosen Schritten und manchmal in tĂŒckischen Verkleidungen. Sie zĂ€hlte die Tage, die an ihr vorbeirannen, und jeden Morgen die feinen Runzeln, zarthaarige Netze, in der Nacht um die ahnungslos schlafenden Augen vom Alter gesponnen. Ihr Herz aber war ein sechzehnjĂ€hriges MĂ€dchenherz. Mit stĂ€ndiger Jugend gesegnet, wohnte es mitten im alternden Körper, ein schönes Geheimnis in einem verfallenden Schloß. Jeder junge Mann, den Frau von Taußig in ihre Arme nahm, war der langersehnte Gast. Er blieb leider nur im Vorzimmer stehen. Sie lebte ja gar nicht; sie wartete ja nur! Einen nach dem andern sah sie davongehn, mit bekĂŒmmerten, ungesĂ€ttigten und verbitterten Augen. AllmĂ€hlich gewöhnte sie sich daran, MĂ€nner kommen und gehen zu sehen, das Geschlecht der kindischen Riesen, die tĂ€ppischen Mammutinsekten glichen, flĂŒchtig und dennoch von schwerem Gewicht; eine Armee von plumpen Toren, die mit bleiernen Fittichen zu flattern versuchten; Krieger, die zu erobern glaubten, wenn man sie verachtete, zu besitzen, wĂ€hrend man sie verlachte, zu genießen, wenn sie kaum gekostet hatten; eine barbarische Horde, auf die man trotzdem wartete, solange man lebte. Vielleicht, vielleicht stand einmal ein einziger aus ihrer verworrenen und finsteren Mitte auf, leicht und schimmernd, ein Prinz mit gesegneten HĂ€nden. Er kam nicht! Man wartete, er kam nicht! Man wurde alt, er kam nicht! Frau von Taußig stellte dem nahenden Alter junge MĂ€nner entgegen wie DĂ€mme. Aus Angst vor ihrem erkennenden Blick ging sie mit geschlossenen Augen in jedes ihrer sogenannten Abenteuer. Und sie verzauberte mit ihren WĂŒnschen die törichten MĂ€nner fĂŒr den eigenen Gebrauch. Leider merkten sie nichts davon. Und sie verwandelten sich nicht im geringsten. Sie schĂ€tzte den Leutnant Trotta ab. Er sieht alt aus fĂŒr seine Jahre dachte sie –, er hat traurige Dinge erlebt, aber er ist nicht an ihnen klug geworden. Er 168
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Radetzkymarsch
Title
Radetzkymarsch
Author
Joseph Roth
Date
1932
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
294
Keywords
Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Teil 1 3
    1. Kapitel 1 5
    2. Kapitel 2 20
    3. Kapitel 3 31
    4. Kapitel 4 45
    5. Kapitel 5 53
    6. Kapitel 6 69
    7. Kapitel 7 81
    8. Kapitel 8 100
  2. Teil 2 111
    1. Kapitel 1 112
    2. Kapitel 2 122
    3. Kapitel 3 136
    4. Kapitel 4 153
    5. Kapitel 5 167
    6. Kapitel 6 178
    7. Kapitel 7 191
  3. Teil 3 202
    1. Kapitel 1 203
    2. Kapitel 2 219
    3. Kapitel 3 236
    4. Kapitel 4 251
    5. Kapitel 5 272
    6. Kapitel 6 281
  4. Epilog 288
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