Seite - 168 - in Radetzkymarsch
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war bequemer als ein Kind. Sobald sein Anfall vorbei war, bat er sie zu
kommen. Sie kam, erlaubte ihm einen Kuß und führte ihn nach Hause. »Auf
frohes Wiedersehn!« sagte Herr von Taußig dem Professor, der ihn bis vor das
Gitter der geschlossenen Abteilung begleitete. »Auf Wiedersehn, recht bald!«
sagte die Frau. (Sie liebte die Zeiten, in denen ihr Mann krank war.) Und sie
fuhren nach Hause. Vor zehn Jahren hatte sie zuletzt Chojnicki besucht,
damals noch nicht mit Taußig verheiratet, nicht weniger schön als heute und
um ganze zehn Jahre jünger. Auch damals war sie nicht allein
zurückgefahren. Ein Leutnant, jung und traurig wie dieser hier, hatte sie
begleitet. Er hieß Ewald und war Ulan. (Ulanen hatte es hier damals
gegeben.) Es wäre der erste wirkliche Schmerz ihres Lebens gewesen, ohne
Begleitung zurückzufahren; und eine Enttäuschung, etwa von einem
Oberleutnant begleitet zu werden. Für höhere Chargen fühlte sie sich noch
lange nicht alt genug. Zehn Jahre später – vielleicht.
Aber das Alter nahte mit grausamen und lautlosen Schritten und manchmal
in tückischen Verkleidungen. Sie zählte die Tage, die an ihr vorbeirannen, und
jeden Morgen die feinen Runzeln, zarthaarige Netze, in der Nacht um die
ahnungslos schlafenden Augen vom Alter gesponnen. Ihr Herz aber war ein
sechzehnjähriges Mädchenherz. Mit ständiger Jugend gesegnet, wohnte es
mitten im alternden Körper, ein schönes Geheimnis in einem verfallenden
Schloß. Jeder junge Mann, den Frau von Taußig in ihre Arme nahm, war der
langersehnte Gast. Er blieb leider nur im Vorzimmer stehen. Sie lebte ja gar
nicht; sie wartete ja nur! Einen nach dem andern sah sie davongehn, mit
bekümmerten, ungesättigten und verbitterten Augen. Allmählich gewöhnte sie
sich daran, Männer kommen und gehen zu sehen, das Geschlecht der
kindischen Riesen, die täppischen Mammutinsekten glichen, flüchtig und
dennoch von schwerem Gewicht; eine Armee von plumpen Toren, die mit
bleiernen Fittichen zu flattern versuchten; Krieger, die zu erobern glaubten,
wenn man sie verachtete, zu besitzen, während man sie verlachte, zu
genießen, wenn sie kaum gekostet hatten; eine barbarische Horde, auf die
man trotzdem wartete, solange man lebte. Vielleicht, vielleicht stand einmal
ein einziger aus ihrer verworrenen und finsteren Mitte auf, leicht und
schimmernd, ein Prinz mit gesegneten Händen. Er kam nicht! Man wartete, er
kam nicht! Man wurde alt, er kam nicht! Frau von Taußig stellte dem
nahenden Alter junge Männer entgegen wie Dämme. Aus Angst vor ihrem
erkennenden Blick ging sie mit geschlossenen Augen in jedes ihrer
sogenannten Abenteuer. Und sie verzauberte mit ihren Wünschen die
törichten Männer für den eigenen Gebrauch. Leider merkten sie nichts davon.
Und sie verwandelten sich nicht im geringsten.
Sie schätzte den Leutnant Trotta ab. Er sieht alt aus für seine Jahre dachte
sie –, er hat traurige Dinge erlebt, aber er ist nicht an ihnen klug geworden. Er
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Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik