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Radetzkymarsch
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Feind zückt. »Alle Welt weiß es«, sagte der Junge, »und sagt es auch!« »Sagt es?« wiederholte Herr von Trotta. »Ihre Kameraden sagen’s?« »Ja, sie sagen es!« Der Bezirkshauptmann sprach nicht mehr. Es schien ihm plötzlich, daß er auf einem hohen Berg stand und ihm gegenüber der Leutnant Nechwal in einem tiefen Tal. Sehr klein war der Leutnant Nechwal! Aber obwohl er klein war und sehr tief stand, hatte er dennoch recht. Und die Welt war nicht mehr die alte Welt. Sie ging unter. Und es war in der Ordnung, daß eine Stunde vor ihrem Untergang die Täler recht behielten gegen die Berge, die Jungen gegen die Alten, die Dummköpfe gegen die Vernünftigen. Der Bezirkshauptmann schwieg. Es war ein sommerlicher Sonntagnachmittag. Die gelben Jalousien im Herrenzimmer ließen gefilterte goldene Sonne einströmen. Die Uhr tickte. Die Fliegen summten. Der Bezirkshauptmann erinnerte sich an den Sommertag, an dem sein Sohn Carl Joseph in der Uniform eines Kavallerieleutnants gekommen war. Wieviel Zeit war seit jenem Tage vergangen? Ein paar Jahre! In diesen Jahren aber schienen dem Bezirkshauptmann die Ereignisse dichter geworden zu sein. Es war, als wenn die Sonne täglich zweimal auf- und zweimal untergegangen wäre; und jede Woche hätte zwei Sonntage gehabt und jeder Monat sechzig Tage! Und die Jahre waren doppelte Jahre gewesen. Und Herr von Trotta fühlte sich gleichsam von der Zeit betrogen, obwohl sie ihm das Doppelte geboten hatte; und es war ihm, als hätte ihm die Ewigkeit doppelte falsche Jahre geboten statt einfacher echter. Und während er den Leutnant verachtete, der ihm gegenüber so tief in seinem Jammertal stand, mißtraute er dem Berg, auf dem er selber stand. Ach! Es geschah ihm Unrecht! Unrecht! Unrecht! Zum erstenmal in seinem Leben glaubte der Bezirkshauptmann, daß ihm Unrecht geschah. Er sehnte sich nach Doktor Skowronnek, dem Mann, mit dem er seit einigen Monaten jeden Nachmittag Schach spielte. Denn auch das regelmäßige Schachspiel gehörte zu den Veränderungen, die im Leben des Bezirkshauptmanns vorgegangen waren. Er hatte Doktor Skowronnek schon lange gekannt, wie er andere Kaffeehausbesucher kannte, nicht mehr und nicht weniger. Eines Nachmittags saßen sie einander gegenüber. Jeder halb verdeckt von einer aufgespannten und entfalteten Zeitung. Wie auf ein Kommando legten beide die Zeitungen nieder, und ihre Augen begegneten einander. Gleichzeitig und auf einen Schlag erkannten sie, daß sie denselben Bericht gelesen hatten. Es war ein Bericht über ein Sommerfest in Hietzing, an dem ein Fleischermeister namens Alois Schinagl dank seiner übernatürlichen Gefräßigkeit Sieger im Beinfleischessen geblieben war und die »Goldene Medaille des Wettesservereins von Hietzing« erhalten hatte. Und die Blicke der beiden Männer sagten zu gleicher Zeit: Wir essen auch 207
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Radetzkymarsch
Title
Radetzkymarsch
Author
Joseph Roth
Date
1932
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
294
Keywords
Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Teil 1 3
    1. Kapitel 1 5
    2. Kapitel 2 20
    3. Kapitel 3 31
    4. Kapitel 4 45
    5. Kapitel 5 53
    6. Kapitel 6 69
    7. Kapitel 7 81
    8. Kapitel 8 100
  2. Teil 2 111
    1. Kapitel 1 112
    2. Kapitel 2 122
    3. Kapitel 3 136
    4. Kapitel 4 153
    5. Kapitel 5 167
    6. Kapitel 6 178
    7. Kapitel 7 191
  3. Teil 3 202
    1. Kapitel 1 203
    2. Kapitel 2 219
    3. Kapitel 3 236
    4. Kapitel 4 251
    5. Kapitel 5 272
    6. Kapitel 6 281
  4. Epilog 288
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