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Radetzkymarsch
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gerne Beinfleisch, aber diese Idee, eine goldene Medaille fĂŒr so was zu verleihen, ist doch eine recht neumodische und verrĂŒckte Idee! Ob es eine Liebe auf den ersten Blick geben kann, wird mit Recht von Kennern bezweifelt. Daß es aber eine Freundschaft auf den ersten Blick gibt, eine Freundschaft unter bejahrten MĂ€nnern, daran gibt es keinen Zweifel. Doktor Skowronnek sah ĂŒber die randlosen, ovalen GlĂ€ser seiner Brille auf den Bezirkshauptmann, und der Bezirkshauptmann legte im selben Augenblick den Zwicker ab. Er lĂŒftete den Zwicker. Und Doktor Skowronnek trat an den Tisch des Bezirkshauptmanns. »Spielen Sie Schach?« fragte Doktor Skowronnek. »Gerne!« sagte der Bezirkshauptmann. Sie hatten es nicht nötig, sich zu verabreden. Sie trafen sich jeden Nachmittag um die gleiche Stunde. Sie kamen gleichzeitig. In ihren tĂ€glichen Gewohnheiten schien eine abgemachte Übereinstimmung zu herrschen. WĂ€hrend des Schachspiels wechselten sie kaum ein Wort. Sie hatten auch nicht das BedĂŒrfnis, miteinander zu sprechen. Auf dem engen Schachbrett stießen manchmal ihre hageren Finger zusammen wie Menschen auf einem kleinen Platz, zuckten zurĂŒck und kehrten wieder heim. Aber so flĂŒchtig diese BerĂŒhrungen auch waren: Als hĂ€tten die Finger Augen und Ohren, vernahmen sie alles voneinander und von den MĂ€nnern, denen sie gehörten. Und nachdem der Bezirkshauptmann und Doktor Skowronnek ein paarmal mit ihren HĂ€nden auf dem Schachbrett zusammengestoßen waren, kam es beiden MĂ€nnern vor, daß sie sich schon seit langen Jahren kannten und daß sie keine Geheimnisse mehr voreinander hĂ€tten. Und also begannen eines Tages sanfte GesprĂ€che ihr Spiel zu umranden, und ĂŒber die HĂ€nde hinweg, die lĂ€ngst miteinander vertraut waren, schwebten die Bemerkungen der MĂ€nner ĂŒber Wetter, Welt, Politik und Menschen. Ein schĂ€tzenswerter Mann! dachte der Bezirkshauptmann vom Doktor Skowronnek. Ein außerordentlich feiner Mensch! dachte Doktor Skowronnek vom Bezirkshauptmann. Den grĂ¶ĂŸten Teil des Jahres hatte Doktor Skowronnek gar nichts zu tun. Er arbeitete nur vier Monate im Jahr als Badearzt in Franzensbad, und seine ganze Weltkenntnis beruhte auf den GestĂ€ndnissen seiner Patientinnen; denn die Frauen erzĂ€hlten ihm alles, wovon sie bedrĂŒckt zu sein glaubten, und es gab nichts in der Welt, was sie nicht bedrĂŒckt hĂ€tte. Ihre Gesundheit litt unter dem Beruf ihrer MĂ€nner ebenso wie unter deren Lieblosigkeit, unter der »allgemeinen Not der Zeit«, unter der Teuerung, unter den politischen Krisen, unter der stĂ€ndigen Kriegsgefahr, unter den Zeitungsabonnements der Gatten, der eigenen BeschĂ€ftigungslosigkeit, der Treulosigkeit der Liebhaber, der GleichgĂŒltigkeit der MĂ€nner, aber auch unter deren Eifersucht. Auf diese Weise lernte Doktor Skowronnek die verschiedenen StĂ€nde und ihr hĂ€usliches 208
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Radetzkymarsch
Title
Radetzkymarsch
Author
Joseph Roth
Date
1932
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
294
Keywords
Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Teil 1 3
    1. Kapitel 1 5
    2. Kapitel 2 20
    3. Kapitel 3 31
    4. Kapitel 4 45
    5. Kapitel 5 53
    6. Kapitel 6 69
    7. Kapitel 7 81
    8. Kapitel 8 100
  2. Teil 2 111
    1. Kapitel 1 112
    2. Kapitel 2 122
    3. Kapitel 3 136
    4. Kapitel 4 153
    5. Kapitel 5 167
    6. Kapitel 6 178
    7. Kapitel 7 191
  3. Teil 3 202
    1. Kapitel 1 203
    2. Kapitel 2 219
    3. Kapitel 3 236
    4. Kapitel 4 251
    5. Kapitel 5 272
    6. Kapitel 6 281
  4. Epilog 288
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