Web-Books
im Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Weiteres
Belletristik
Radetzkymarsch
Seite - 208 -
  • Benutzer
  • Version
    • Vollversion
    • Textversion
  • Sprache
    • Deutsch
    • English - Englisch

Seite - 208 - in Radetzkymarsch

Bild der Seite - 208 -

Bild der Seite - 208 - in Radetzkymarsch

Text der Seite - 208 -

gerne Beinfleisch, aber diese Idee, eine goldene Medaille für so was zu verleihen, ist doch eine recht neumodische und verrückte Idee! Ob es eine Liebe auf den ersten Blick geben kann, wird mit Recht von Kennern bezweifelt. Daß es aber eine Freundschaft auf den ersten Blick gibt, eine Freundschaft unter bejahrten Männern, daran gibt es keinen Zweifel. Doktor Skowronnek sah über die randlosen, ovalen Gläser seiner Brille auf den Bezirkshauptmann, und der Bezirkshauptmann legte im selben Augenblick den Zwicker ab. Er lüftete den Zwicker. Und Doktor Skowronnek trat an den Tisch des Bezirkshauptmanns. »Spielen Sie Schach?« fragte Doktor Skowronnek. »Gerne!« sagte der Bezirkshauptmann. Sie hatten es nicht nötig, sich zu verabreden. Sie trafen sich jeden Nachmittag um die gleiche Stunde. Sie kamen gleichzeitig. In ihren täglichen Gewohnheiten schien eine abgemachte Übereinstimmung zu herrschen. Während des Schachspiels wechselten sie kaum ein Wort. Sie hatten auch nicht das Bedürfnis, miteinander zu sprechen. Auf dem engen Schachbrett stießen manchmal ihre hageren Finger zusammen wie Menschen auf einem kleinen Platz, zuckten zurück und kehrten wieder heim. Aber so flüchtig diese Berührungen auch waren: Als hätten die Finger Augen und Ohren, vernahmen sie alles voneinander und von den Männern, denen sie gehörten. Und nachdem der Bezirkshauptmann und Doktor Skowronnek ein paarmal mit ihren Händen auf dem Schachbrett zusammengestoßen waren, kam es beiden Männern vor, daß sie sich schon seit langen Jahren kannten und daß sie keine Geheimnisse mehr voreinander hätten. Und also begannen eines Tages sanfte Gespräche ihr Spiel zu umranden, und über die Hände hinweg, die längst miteinander vertraut waren, schwebten die Bemerkungen der Männer über Wetter, Welt, Politik und Menschen. Ein schätzenswerter Mann! dachte der Bezirkshauptmann vom Doktor Skowronnek. Ein außerordentlich feiner Mensch! dachte Doktor Skowronnek vom Bezirkshauptmann. Den größten Teil des Jahres hatte Doktor Skowronnek gar nichts zu tun. Er arbeitete nur vier Monate im Jahr als Badearzt in Franzensbad, und seine ganze Weltkenntnis beruhte auf den Geständnissen seiner Patientinnen; denn die Frauen erzählten ihm alles, wovon sie bedrückt zu sein glaubten, und es gab nichts in der Welt, was sie nicht bedrückt hätte. Ihre Gesundheit litt unter dem Beruf ihrer Männer ebenso wie unter deren Lieblosigkeit, unter der »allgemeinen Not der Zeit«, unter der Teuerung, unter den politischen Krisen, unter der ständigen Kriegsgefahr, unter den Zeitungsabonnements der Gatten, der eigenen Beschäftigungslosigkeit, der Treulosigkeit der Liebhaber, der Gleichgültigkeit der Männer, aber auch unter deren Eifersucht. Auf diese Weise lernte Doktor Skowronnek die verschiedenen Stände und ihr häusliches 208
zurück zum  Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
Titel
Radetzkymarsch
Autor
Joseph Roth
Datum
1932
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
294
Schlagwörter
Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Teil 1 3
    1. Kapitel 1 5
    2. Kapitel 2 20
    3. Kapitel 3 31
    4. Kapitel 4 45
    5. Kapitel 5 53
    6. Kapitel 6 69
    7. Kapitel 7 81
    8. Kapitel 8 100
  2. Teil 2 111
    1. Kapitel 1 112
    2. Kapitel 2 122
    3. Kapitel 3 136
    4. Kapitel 4 153
    5. Kapitel 5 167
    6. Kapitel 6 178
    7. Kapitel 7 191
  3. Teil 3 202
    1. Kapitel 1 203
    2. Kapitel 2 219
    3. Kapitel 3 236
    4. Kapitel 4 251
    5. Kapitel 5 272
    6. Kapitel 6 281
  4. Epilog 288
Web-Books
Bibliothek
Datenschutz
Impressum
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Radetzkymarsch