Page - 214 - in Radetzkymarsch
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Beispiel. Und es war dem Bezirkshauptmann, als hätte er nicht erst lange auf
den Untergang der Welt zu warten. Er schlug mit der mageren Faust auf den
Tisch, die runde Manschette schepperte, und über dem Tischchen wackelte
die grünliche Lampe ein bißchen, und fragte:
»Was für einen Beruf, Herr Doktor?«
»Er könnte«, meinte Doktor Skowronnek, »vielleicht bei der Eisenbahn
unterkommen!«
Der Bezirkshauptmann sah im nächsten Augenblick seinen Sohn in der
Uniform eines Schaffners, eine Zange zum Knipsen der Fahrkarten in der
Hand. Das Wort »unterkommen« jagte einen Schauer durch sein altes Herz.
Er fror.
»So, meinen Sie?«
»Sonst weiß ich nichts!« sagte Doktor Skowronnek.
Und da sich der Bezirkshauptmann jetzt erhob, stand auch Doktor
Skowronnek auf und sagte:
»Ich werde Sie begleiten!«
Sie gingen durch den Park. Es regnete. Der Bezirkshauptmann spannte
seinen Regenschirm nicht auf. Hier und dort fielen schwere Tropfen aus den
dichten Kronen der Bäume auf seine Schultern und seinen steifen Hut. Es war
dunkel und still. Sooft sie an einer der spärlichen Laternen vorbeikamen, die
ihre silbernen Häupter zwischen dem dunklen Laub verbargen, neigten beide
Männer die Köpfe. Und als sie vor dem Ausgang des Stadtparks standen,
zögerten sie noch einen Augenblick. Und Doktor Skowronnek sagte plötzlich:
»Auf Wiedersehen, Herr Bezirkshauptmann!« Und Herr von Trotta ging allein
über die Straße, hinüber zum breitgewölbten Tor der
Bezirkshauptmannschaft.
Er begegnete seiner Haushälterin auf der Treppe, sagte: »Ich esse heute
nicht, Gnädigste!« und ging schnell weiter. Er wollte zwei Stufen auf einmal
nehmen, aber er schämte sich und ging mit gewohnter Würde geradewegs ins
Amt. Zum erstenmal, seitdem er diese Bezirkshauptmannschaft leitete, saß er
zu abendlicher Stunde in seiner Amtskanzlei. Er entzündete die grüne
Tischlampe, die sonst nur im Winter am Nachmittag brannte. Die Fenster
waren offen. Der Regen schlug heftig an die blechernen Fensterbretter. Herr
von Trotta zog einen gelblichen Kanzleibogen aus der Schublade und schrieb:
»Lieber Sohn!
Nach reiflicher Überlegung habe ich mich entschlossen, die Verantwortung
für Deine Zukunft Dir selbst zu überlassen. Ich ersuche Dich lediglich, mir
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Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik