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Radetzkymarsch
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seinen trostlosen Bemühungen, Ordnung zu halten, zeugen können. Unendliche Zahlenkolonnen standen auf jeder Seite. Sie verwirrten und vermischten sich aber, er verlor sie gleichsam aus den Händen, sie addierten sich selbst und trogen ihn mit falschen Summen, sie galoppierten vor seinen sehenden Augen davon, sie kehrten im nächsten Augenblick verwandelt zurück und waren nicht mehr zu erkennen. Es gelang ihm nicht einmal, seine Schulden zu addieren. Auch die Zinsen begriff er nicht. Was er geliehen hatte, verschwand hinter dem, was er schuldig war, wie ein Hügel hinter einem Berg. Und er begriff nicht, wie Kapturak eigentlich rechnete. Und mißtraute er auch Kapturaks Ehrlichkeit, so traute er doch noch weniger seiner eigenen Fähigkeit zu rechnen. Schließlich langweilte ihn jede Zahl. Und er gab ein für allemal jeden Rechenversuch auf, mit dem Mut, den Ohnmacht und Verzweiflung erzeugen. Sechstausend Kronen war er Kapturak und Brodnitzer schuldig. Diese Summe war selbst für seine mangelhafte Vorstellung von Zahlen riesengroß, wenn er sie mit seiner monatlichen Gage verglich. (Und von der wurde noch ein Drittel regelmäßig abgezogen.) Dennoch hatte er sich mit der Zahl 6000 allmählich vertraut gemacht wie mit einem übermächtigen, aber ganz alten Feind. Ja, in guten Stunden konnte es ihm sogar scheinen, daß die Zahl abnehme und Kräfte verliere. In schlechten Stunden aber schien es ihm, daß sie zunehme und Kräfte gewinne. Er fuhr zu Frau von Taußig. Seit Wochen unternahm er diese kurzen und verstohlenen Fahrten zu Frau von Taußig, sündige Wallfahrten. Den naiven Frommen ähnlich, für die eine Pilgerfahrt eine Art Genuß ist, eine Zerstreuung und manchmal sogar eine Sensation, verband Leutnant Trotta das Ziel, zu dem er pilgerte, mit der Umgebung, in der es lebte, mit seiner ewigen Sehnsucht nach einem freien Leben, wie er es sich vorstellte, mit dem Zivil, das er anlegte, und mit dem Reiz des Verbotenen. Er liebte seine Reisen. Er liebte diese zehn Minuten Fahrt im geschlossenen Wagen zum Bahnhof, während welcher er sich einbildete, daß er von niemandem erkannt wurde. Er liebte die paar geliehenen Hundertkronenscheine in der Brusttasche, die heute und morgen ihm allein gehörten und denen man nicht ansah, daß sie geliehen waren und daß sie schon zu wachsen und zu schwellen begannen in den Notizbüchern Kapturaks. Er liebte diese zivile Anonymität, in der er den Wiener Nordbahnhof passierte und verließ. Niemand erkannte ihn. Offiziere und Soldaten gingen an ihm vorbei. Er grüßte nicht und wurde nicht gegrüßt. Manchmal erhob sich sein Arm zum militärischen Gruß von selbst. Er erinnerte sich schnell an sein Zivil und ließ ihn wieder sinken. Die Weste zum Beispiel machte dem Leutnant Trotta ein kindisches Vergnügen. Er steckte die Hände in alle ihre Taschen, die er nicht zu gebrauchen wußte. Und er liebkoste mit eitlen Fingern den Knoten der Krawatte über dem Ausschnitt, 220
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Radetzkymarsch
Title
Radetzkymarsch
Author
Joseph Roth
Date
1932
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
294
Keywords
Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Teil 1 3
    1. Kapitel 1 5
    2. Kapitel 2 20
    3. Kapitel 3 31
    4. Kapitel 4 45
    5. Kapitel 5 53
    6. Kapitel 6 69
    7. Kapitel 7 81
    8. Kapitel 8 100
  2. Teil 2 111
    1. Kapitel 1 112
    2. Kapitel 2 122
    3. Kapitel 3 136
    4. Kapitel 4 153
    5. Kapitel 5 167
    6. Kapitel 6 178
    7. Kapitel 7 191
  3. Teil 3 202
    1. Kapitel 1 203
    2. Kapitel 2 219
    3. Kapitel 3 236
    4. Kapitel 4 251
    5. Kapitel 5 272
    6. Kapitel 6 281
  4. Epilog 288
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