Page - 260 - in Radetzkymarsch
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mittleren Jahren war, allmählich unheimlich in diesem Vorraum, den er mit
seinen Kerzen nur spärlich beleuchten konnte und der nach jedem der
heftigen, bläulichweißen Blitze in eine noch tiefere, braune Dunkelheit
versank. Schwere Wellen geladener Luft lagen im Raum, das Gewitter
zögerte. Der Diener brachte den Zufall des Gewitters mit der schrecklichen
Kunde in einen übernatürlichen Zusammenhang. Er bedachte, daß die Stunde
endlich gekommen sei, in der sich übernatürliche Gewalten der Welt deutlich
und grausam kundgeben wollten. Und er bekreuzigte sich, den Leuchter in der
Linken. In diesem Augenblick trat Chojnicki heraus, sah verwundert auf ihn
und fragte, ob er sich denn so vor dem Gewitter fürchte. Es sei nicht nur das
Gewitter, antwortete der Diener. Denn obwohl er versprochen hatte zu
schweigen, war es ihm nicht mehr möglich, die Last seiner Mitwisserschaft zu
tragen. »Was denn sonst?« fragte Chojnicki. Der Herr Oberst Festetics hätte
eine schreckliche Nachricht erhalten, sagte der Mann. Und er zitierte ihren
Wortlaut. Chojnicki befahl zuerst, alle Fenster, die schon des Unwetters
wegen geschlossen worden waren, auch dicht zu verhängen, hierauf, den
Wagen fertigzumachen. Er wollte in die Stadt. Während man draußen die
Pferde anspannte, fuhr eine Droschke vor, mit aufgerollter, triefender Plache,
an der man erkannte, daß sie aus einer Gegend kam, in der das Gewitter
bereits niedergegangen war. Aus dem Fiaker stieg jener muntere
Bezirkskommissär, der die politische Versammlung der streikenden
Borstenarbeiter aufgelöst hatte, eine Aktentasche unter dem Arm. Er
berichtete zuerst, als wäre er vornehmlich zu diesem Zweck gekommen, daß
es im Städtchen regne. Hierauf teilte er Chojnicki mit, daß man den
Thronfolger der österreichisch-ungarischen Monarchie wahrscheinlich in
Sarajevo erschossen habe. Reisende, die vor drei Stunden angekommen seien,
hätten zuerst die Nachricht verbreitet. Dann sei ein verstümmeltes, chiffriertes
Telegramm von der Statthalterei angelangt.Offenbar infolge des Gewitters sei
der telegraphische Verkehr gestört, eine Rückfrage also bis jetzt
unbeantwortet geblieben. Überdies sei heute Sonntag und nur wenig Personal
in den Ämtern vorhanden. Die Aufregung in der Stadt und selbst in den
Dörfern wachse aber ständig, und trotz des Gewitters ständen die Leute in den
Gassen.
Während der Kommissär hastig und flüsternd erzählte, hörte man aus den
Räumen die schleifenden Schritte der Tanzenden, das helle Klirren der Gläser
und von Zeit zu Zeit ein tiefes Gelächter der Männer. Chojnicki beschloß,
zuerst ein paar seiner Gäste, die er für maßgebend, vorsichtig und noch
nüchtern hielt, in einem abgesonderten Zimmer zu versammeln. Indem er
allerhand Ausreden gebrauchte, brachte er den und jenen in den vorgesehenen
Raum, stellte ihnen den Bezirkskommissär vor und berichtete. Zu den
Eingeweihten gehörten der Oberst des Dragonerregiments, der Major des
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book Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik