Page - 264 - in Radetzkymarsch
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Österreich und von Wien und vom Kaiser Franz Joseph. In Sarajevo, beinahe
in seiner Heimat, vielleicht gar von der Hand eines Slowenen, wie der
Rittmeister Jelacich selbst einer war, war der Thronfolger getötet worden.
Wenn der Rittmeister nun anfing, den Ermordeten gegen die Schmähungen
der Ungarn zu verteidigen (er allein in dieser Gesellschaft verstand
Ungarisch), so konnte man ihm erwidern, seine Volksgenossen seien ja die
Mörder. Er fühlte sich in der Tat ein bißchen mitschuldig. Er wußte nicht,
warum. Seit etwa hundertfünfzig Jahren diente seine Familie redlich und
ergeben der Dynastie der Habsburger. Aber schon seine beiden
halbwüchsigen Söhne sprachen von der Selbständigkeit aller Südslawen und
verbargen vor ihm Broschüren, die aus dem feindlichen Belgrad stammen
mochten. Nun, er liebte seine Söhne! Jeden Nachmittag um ein Uhr, wenn das
Regiment das Gymnasium passierte, stürzten sie ihm entgegen, sie flatterten
aus dem großen, braunen Tor der Schule, mit zerrauftem Haar und Gelächter
in den offenen Mündern, und väterliche Zärtlichkeit zwang ihn, vom Pferd zu
steigen und die Kinder zu umarmen. Er schloß die Augen, wenn er sie
verdächtige Zeitungen lesen sah, und die Ohren, wenn er sie Verdächtiges
reden hörte. Er war klug, und er wußte, daß er ohnmächtig zwischen seinen
Ahnen und seinen Nachkommen stand, die bestimmt waren, die Ahnen eines
ganz neuen Geschlechts zu werden. Sie hatten sein Gesicht, die Farbe seiner
Haare und seiner Augen, aber ihre Herzen schlugen einen neuen Takt, ihre
Köpfe gebaren fremde Gedanken, ihre Kehlen sangen neue und fremde
Lieder, die er nicht kannte. Und mit seinen vierzig Jahren fühlte sich der
Rittmeister wie ein Greis, und seine Söhne kamen ihm vor wie unbegreifliche
Urenkel.
Es ist alles gleich, dachte er in diesem Augenblick, trat an den Tisch und
schlug mit der flachen Hand auf die Platte. »Wir bitten die Herren«, sagte er,
»die Unterhaltung auf deutsch fortzusetzen.«
Benkyö, der gerade gesprochen hatte, hielt ein und antwortete: »Ich will es
auf deutsch sagen: Wir sind übereingekommen, meine Landsleute und ich,
daß wir froh sein können, wann das Schwein hin is!«
Alle sprangen auf. Chojnicki und der muntere Bezirkskommissär verließen
das Zimmer. Die Gäste blieben allein. Man hatte ihnen zu verstehen gegeben,
daß Zwistigkeiten innerhalb der Armee keine Zeugen vertrugen. Neben der
Tür stand der Leutnant Trotta. Er hatte viel getrunken. Sein Gesicht war fahl,
seine Glieder waren schlaff, sein Gaumen trocken, sein Herz hohl. Er fühlte
wohl, daß er berauscht war, aber er vermißte zu seiner Verwunderung den
gewohnten wohltätigen Nebel vor den Augen. Vielmehr kam es ihm vor, als
sähe er alles deutlicher, wie durch blankes, klares Eis. Die Gesichter, die er
heute zum erstenmal erblickt hatte, glaubte er schon seit langem zu kennen.
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Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik