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Radetzkymarsch
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Österreich und von Wien und vom Kaiser Franz Joseph. In Sarajevo, beinahe in seiner Heimat, vielleicht gar von der Hand eines Slowenen, wie der Rittmeister Jelacich selbst einer war, war der Thronfolger getötet worden. Wenn der Rittmeister nun anfing, den Ermordeten gegen die Schmähungen der Ungarn zu verteidigen (er allein in dieser Gesellschaft verstand Ungarisch), so konnte man ihm erwidern, seine Volksgenossen seien ja die Mörder. Er fühlte sich in der Tat ein bißchen mitschuldig. Er wußte nicht, warum. Seit etwa hundertfünfzig Jahren diente seine Familie redlich und ergeben der Dynastie der Habsburger. Aber schon seine beiden halbwüchsigen Söhne sprachen von der Selbständigkeit aller Südslawen und verbargen vor ihm Broschüren, die aus dem feindlichen Belgrad stammen mochten. Nun, er liebte seine Söhne! Jeden Nachmittag um ein Uhr, wenn das Regiment das Gymnasium passierte, stürzten sie ihm entgegen, sie flatterten aus dem großen, braunen Tor der Schule, mit zerrauftem Haar und Gelächter in den offenen Mündern, und väterliche Zärtlichkeit zwang ihn, vom Pferd zu steigen und die Kinder zu umarmen. Er schloß die Augen, wenn er sie verdächtige Zeitungen lesen sah, und die Ohren, wenn er sie Verdächtiges reden hörte. Er war klug, und er wußte, daß er ohnmächtig zwischen seinen Ahnen und seinen Nachkommen stand, die bestimmt waren, die Ahnen eines ganz neuen Geschlechts zu werden. Sie hatten sein Gesicht, die Farbe seiner Haare und seiner Augen, aber ihre Herzen schlugen einen neuen Takt, ihre Köpfe gebaren fremde Gedanken, ihre Kehlen sangen neue und fremde Lieder, die er nicht kannte. Und mit seinen vierzig Jahren fühlte sich der Rittmeister wie ein Greis, und seine Söhne kamen ihm vor wie unbegreifliche Urenkel. Es ist alles gleich, dachte er in diesem Augenblick, trat an den Tisch und schlug mit der flachen Hand auf die Platte. »Wir bitten die Herren«, sagte er, »die Unterhaltung auf deutsch fortzusetzen.« Benkyö, der gerade gesprochen hatte, hielt ein und antwortete: »Ich will es auf deutsch sagen: Wir sind übereingekommen, meine Landsleute und ich, daß wir froh sein können, wann das Schwein hin is!« Alle sprangen auf. Chojnicki und der muntere Bezirkskommissär verließen das Zimmer. Die Gäste blieben allein. Man hatte ihnen zu verstehen gegeben, daß Zwistigkeiten innerhalb der Armee keine Zeugen vertrugen. Neben der Tür stand der Leutnant Trotta. Er hatte viel getrunken. Sein Gesicht war fahl, seine Glieder waren schlaff, sein Gaumen trocken, sein Herz hohl. Er fühlte wohl, daß er berauscht war, aber er vermißte zu seiner Verwunderung den gewohnten wohltätigen Nebel vor den Augen. Vielmehr kam es ihm vor, als sähe er alles deutlicher, wie durch blankes, klares Eis. Die Gesichter, die er heute zum erstenmal erblickt hatte, glaubte er schon seit langem zu kennen. 264
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Radetzkymarsch
Titel
Radetzkymarsch
Autor
Joseph Roth
Datum
1932
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
294
Schlagwörter
Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Teil 1 3
    1. Kapitel 1 5
    2. Kapitel 2 20
    3. Kapitel 3 31
    4. Kapitel 4 45
    5. Kapitel 5 53
    6. Kapitel 6 69
    7. Kapitel 7 81
    8. Kapitel 8 100
  2. Teil 2 111
    1. Kapitel 1 112
    2. Kapitel 2 122
    3. Kapitel 3 136
    4. Kapitel 4 153
    5. Kapitel 5 167
    6. Kapitel 6 178
    7. Kapitel 7 191
  3. Teil 3 202
    1. Kapitel 1 203
    2. Kapitel 2 219
    3. Kapitel 3 236
    4. Kapitel 4 251
    5. Kapitel 5 272
    6. Kapitel 6 281
  4. Epilog 288
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