Page - 266 - in Radetzkymarsch
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zu murmeln anfing, schrie Trotta: »Ruhe!«, mit einer Stimme, die ihm wie
eine geliehene vorkam, einer donnernden Stimme, vielleicht war es die
Stimme des Helden von Solferino. Er fühlte sich eins mit seinem Großvater.
Er selbst war der Held von Solferino. Sein eigenes Bildnis war’s, das unter
dem Suffit des väterlichen Herrenzimmers verdämmerte.
Der Oberst Festetics und der Major Zoglauer standen auf. Zum erstenmal,
seitdem es eine österreichische Armee gab, befahl ein Leutnant Rittmeistern,
Majoren und Obersten Ruhe. Keiner von den Anwesenden glaubte noch, die
Ermordung des Thronfolgers sei lediglich ein Gerücht. Sie sahen den
Thronfolger in einer roten, dampfenden Blutlache. Sie fürchteten, auch hier,
in diesem Zimmer, in der nächsten Sekunde Blut zu sehen. »Befehlen Sie ihm
zu schweigen!« flüsterte der Oberst Festetics.
»Herr Leutnant«, sagte Zoglauer, »verlassen Sie uns!«
Trotta wandte sich zur Tür. In diesem Augenblick wurde sie aufgestoßen.
Viele Gäste strömten herein, Konfetti und Papierschlangen auf Köpfen und
Schultern. Die Tür blieb offen. Man hörte aus den anderen Räumen die
Frauen lachen und die Musik und die schleifenden Schritte der Tänzer.
Jemand rief:
»Der Thronfolger ist ermordet!«
»Den Trauermarsch!« schrie Benkyö.
»Den Trauermarsch!« wiederholten mehrere.
Sie strömten aus dem Zimmer. In den zwei großen Sälen, in denen man bis
jetzt getanzt hatte, spielten beide Militärkapellen, dirigiert von den
lächelnden, knallroten Kapellmeistern, den Trauermarsch von Chopin.
Ringsum wandelten ein paar Gäste im Kreis, im Kreis, zum Takt des
Trauermarsches. Bunte Papierschlangen und Koriandolisterne lagen auf ihren
Schultern und Haaren. Männer in Uniform und in Zivil führten Frauen am
Arm. Ihre Füße gehorchten schwankend dem makabren und stolpernden
Rhythmus. Die Kapellen spielten nämlich ohne Noten, nicht dirigiert, sondern
begleitet von den langsamen Schleifen, die der Kapellmeister schwarze
Taktstöcke durch die Luft zeichneten. Manchmal blieb eine Kapelle hinter der
anderen zurück, suchte die vorauseilende zu erhaschen und mußte ein paar
Takte auslassen. Die Gäste marschierten im Kreis rings um das leere,
spiegelnde Rund des Parketts. Sie kreisten so umeinander, jeder ein
Leidtragender hinter der Leiche des Vordermanns und in der Mitte die
unsichtbaren Leichen des Thronfolgers und der Monarchie. Alle waren
betrunken. Und wer noch nicht genügend getrunken hatte, dem drehte sich der
Kopf vom unermüdlichen Kreisen. Allmählich beschleunigten die Kapellen
den Takt, und die Beine der Wandelnden fingen an zu marschieren. Die
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Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik