Page - 268 - in Radetzkymarsch
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In dem hageren Gesicht des Majors war alles in Bewegung. Die Fältchen
schoben sich ineinander, die Haut zuckte, das Kinn wanderte hin und her, es
schien geradezu zu pendeln, um die Backenknochen spielten ein paar winzige
Muskelchen, die Augenlider flatterten, und die Wangen zitterten. Alles war in
Bewegung geraten, vom Aufruhr, den die wirren, unausgesprochenen und
unaussprechlichen Worte innerhalb des Mundes verursachen mochten. Eine
Ahnung von Wahnsinn flackerte über diesem Angesicht. Zoglauer preßte
Trottas Hand, sekundenlang, Ewigkeiten. Festetics und Zschoch kauerten
immer noch regungslos auf den Stufen. Man roch den starken Holunder. Man
hörte das sachte Tropfen des Regens und das zarte Rauschen der nassen
Bäume, und schon begannen die Stimmen der Tiere zaghaft zu erwachen, die
vor dem Gewitter verstummt waren. Die Musik im Innern des Hauses war
still geworden. Nur die Reden der Menschen drangen durch die geschlossenen
und verhängten Fenster.
»Vielleicht haben Sie recht, Sie sind jung!« sagte Zoglauer endlich. Es war
der lächerlichste, ärmlichste Teil dessen, was er in diesen Sekunden gedacht
hatte. Den Rest, ein großes, verworrenes Knäuel von Gedanken, verschluckte
er wieder.
Es war lange nach Mitternacht. Aber im Städtchen standen noch die
Menschen vor den Häusern, auf den hölzernen Bürgersteigen, und sprachen.
Sie blieben still, wenn der Leutnant vorbeikam. Als er das Hotel erreichte,
graute der Morgen schon. Er öffnete den Schrank. Zwei Uniformen, den
Zivilanzug, die Wäsche und den Säbel Max Demants legte er in den Koffer.
Er arbeitete langsam, um die Zeit auszufüllen. Er berechnete nach der Uhr die
Dauer jeder Bewegung. Er dehnte die Bewegungen. Er fürchtete die leere
Zeit, die vor dem Rapport noch zurückbleiben mußte.
Der Morgen war da, Onufrij brachte die Dienstuniform und die glänzend
gewichsten Stiefel.
»Onufrij«, sagte der Leutnant, »ich verlasse die Armee.«
»Jawohl, Herr Leutnant!« sagte Onufrij. Er ging hinaus, den Korridor
entlang, die Treppe hinunter, in die Kammer, die er bewohnte, packte seine
Sachen in ein buntes Tuch, band es an den Griff seines Knüppels und legte
alles aufs Bett. Er beschloß heimzukehren, nach Burdlaki, die Erntearbeiten
begannen bald. Er hatte nichts mehr in der kaiser- und königlichen Armee zu
suchen. Man nannte so was »desertieren« und wurde dafür erschossen. Die
Gendarmen kamen nur einmal in der Woche nach Burdlaki, man konnte sich
verbergen. Wie viele hatten es schon gemacht! Panterlejmon, der Sohn Ivans,
Grigorij, der Sohn Nikolajs, Pawel, der Blatternarbige, Nikofor, der
Rothaarige. Nur einen hatte man gefangen und verurteilt, aber das war schon
lange her!
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Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik