Page - 279 - in Radetzkymarsch
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heimkehrten. Vielleicht befanden sich unter ihnen Menschen, auf die er
geschossen hatte. Er blieb stehen, um sie vorbeizulassen. Sie hasteten stumm
dahin, einer hinter dem andern, jeder mit einem Päckchen am geschulterten
Stock. Der Abend schien schneller einzubrechen, als verstärkten die
dahineilenden Menschen seine Dunkelheit. Der Himmel war leicht bewölkt,
rot und klein ging die Sonne unter, der silbergraue Nebel erhob sich über den
Sümpfen, der irdische Bruder der Wolken, der seinen Schwestern
entgegenstrebte. Plötzlich begannen alle Glocken des Städtchens zu läuten.
Die Wanderer hielten einen Augenblick ein, lauschten und gingen weiter.
Trotta hielt einen der letzten an und fragte, warum die Glocken läuteten. »Es
ist wegen des Krieges«, antwortete der Mann, ohne den Kopf zu heben.
»Wegen des Krieges«, wiederholte Trotta. Selbstverständlich gab es Krieg.
Es war, als hätte er es seit heute morgen, seit gestern abend, seit vorgestern,
seit Wochen gewußt, seit dem Abschied und dem unseligen Fest der
Dragoner. Das war der Krieg, auf den er sich schon als Siebenjähriger
vorbereitet hatte. Es war sein Krieg, der Krieg des Enkels. Die Tage und die
Helden von Solferino kehrten wieder. Die Glocken dröhnten ohne Unterlaß.
Jetzt kam der Zollschranken. Der Wächter mit dem Holzbein stand vor
seinem Häuschen, von Menschen umringt, an der Tür hing ein leuchtendes,
schwarz-gelbes Plakat. Die ersten Worte, schwarz auf gelbem Grund, konnte
man auch aus der Ferne lesen. Wie schwere Balken ragten sie über die Köpfe
der angesammelten Menschen: »An meine Völker!«
Bauern in kurzen und stark riechenden Schafspelzen, Juden in flatternden,
schwarz-grünen Kaftans, schwäbische Landwirte aus den deutschen Kolonien
in grünem Loden, polnische Bürger, Kaufleute, Handwerker und Beamte
umringten das Häuschen des Zollwächters. An jeder der vier freistehenden
Wände klebten die großen Plakate, jedes in einer anderen Landessprache,
jedes beginnend mit der Anrede des Kaisers: »An meine Völker!« Die des
Lesens kundig waren, lasen laut die Plakate vor. Ihre Stimmen vermischten
sich mit dem dröhnenden Gesang der Glocken. Manche gingen von einer
Wand zur anderen und lasen den Text in jeder Sprache. Wenn eine der
Glocken verhallt war, begann sofort eine neue zu dröhnen. Aus dem
Städtchen strömten die Menschen herbei, in die breite Straße, die zum
Bahnhof führte. Trotta ging ihnen entgegen in die Stadt. Es war Abend
geworden, und da es ein Freitagabend war, brannten die Kerzen in den
kleinen Häuschen der Juden und erleuchteten die Bürgersteige. Jedes
Häuschen war wie eine kleine Gruft. Der Tod selbst hatte die Kerzen
angezündet. Lauter als an den andern Feiertagen der Juden scholl ihr Gesang
aus den Häusern, in denen sie beteten. Sie grüßten einen außerordentlichen,
einen blutigen Sabbat. Sie stürzten in schwarzen, hastigen Rudeln aus den
Häusern, sammelten sich an den Kreuzungen, und bald erhob sich ihr
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Radetzkymarsch
- Title
- Radetzkymarsch
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1932
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 294
- Keywords
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Categories
- Weiteres Belletristik