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Radetzkymarsch
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heimkehrten. Vielleicht befanden sich unter ihnen Menschen, auf die er geschossen hatte. Er blieb stehen, um sie vorbeizulassen. Sie hasteten stumm dahin, einer hinter dem andern, jeder mit einem Päckchen am geschulterten Stock. Der Abend schien schneller einzubrechen, als verstärkten die dahineilenden Menschen seine Dunkelheit. Der Himmel war leicht bewölkt, rot und klein ging die Sonne unter, der silbergraue Nebel erhob sich über den Sümpfen, der irdische Bruder der Wolken, der seinen Schwestern entgegenstrebte. Plötzlich begannen alle Glocken des Städtchens zu läuten. Die Wanderer hielten einen Augenblick ein, lauschten und gingen weiter. Trotta hielt einen der letzten an und fragte, warum die Glocken läuteten. »Es ist wegen des Krieges«, antwortete der Mann, ohne den Kopf zu heben. »Wegen des Krieges«, wiederholte Trotta. Selbstverständlich gab es Krieg. Es war, als hätte er es seit heute morgen, seit gestern abend, seit vorgestern, seit Wochen gewußt, seit dem Abschied und dem unseligen Fest der Dragoner. Das war der Krieg, auf den er sich schon als Siebenjähriger vorbereitet hatte. Es war sein Krieg, der Krieg des Enkels. Die Tage und die Helden von Solferino kehrten wieder. Die Glocken dröhnten ohne Unterlaß. Jetzt kam der Zollschranken. Der Wächter mit dem Holzbein stand vor seinem Häuschen, von Menschen umringt, an der Tür hing ein leuchtendes, schwarz-gelbes Plakat. Die ersten Worte, schwarz auf gelbem Grund, konnte man auch aus der Ferne lesen. Wie schwere Balken ragten sie über die Köpfe der angesammelten Menschen: »An meine Völker!« Bauern in kurzen und stark riechenden Schafspelzen, Juden in flatternden, schwarz-grünen Kaftans, schwäbische Landwirte aus den deutschen Kolonien in grünem Loden, polnische Bürger, Kaufleute, Handwerker und Beamte umringten das Häuschen des Zollwächters. An jeder der vier freistehenden Wände klebten die großen Plakate, jedes in einer anderen Landessprache, jedes beginnend mit der Anrede des Kaisers: »An meine Völker!« Die des Lesens kundig waren, lasen laut die Plakate vor. Ihre Stimmen vermischten sich mit dem dröhnenden Gesang der Glocken. Manche gingen von einer Wand zur anderen und lasen den Text in jeder Sprache. Wenn eine der Glocken verhallt war, begann sofort eine neue zu dröhnen. Aus dem Städtchen strömten die Menschen herbei, in die breite Straße, die zum Bahnhof führte. Trotta ging ihnen entgegen in die Stadt. Es war Abend geworden, und da es ein Freitagabend war, brannten die Kerzen in den kleinen Häuschen der Juden und erleuchteten die Bürgersteige. Jedes Häuschen war wie eine kleine Gruft. Der Tod selbst hatte die Kerzen angezündet. Lauter als an den andern Feiertagen der Juden scholl ihr Gesang aus den Häusern, in denen sie beteten. Sie grüßten einen außerordentlichen, einen blutigen Sabbat. Sie stürzten in schwarzen, hastigen Rudeln aus den Häusern, sammelten sich an den Kreuzungen, und bald erhob sich ihr 279
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Radetzkymarsch
Titel
Radetzkymarsch
Autor
Joseph Roth
Datum
1932
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
294
Schlagwörter
Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Teil 1 3
    1. Kapitel 1 5
    2. Kapitel 2 20
    3. Kapitel 3 31
    4. Kapitel 4 45
    5. Kapitel 5 53
    6. Kapitel 6 69
    7. Kapitel 7 81
    8. Kapitel 8 100
  2. Teil 2 111
    1. Kapitel 1 112
    2. Kapitel 2 122
    3. Kapitel 3 136
    4. Kapitel 4 153
    5. Kapitel 5 167
    6. Kapitel 6 178
    7. Kapitel 7 191
  3. Teil 3 202
    1. Kapitel 1 203
    2. Kapitel 2 219
    3. Kapitel 3 236
    4. Kapitel 4 251
    5. Kapitel 5 272
    6. Kapitel 6 281
  4. Epilog 288
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