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Theodors Familie bewohnte drei Zimmer in Moabit, und das schönste
enthielt zwei wackelige Schränke, als Prunkstück die Kredenz und als
einzigen Schmuck jenen silbernen Aufsatz, den Theodor aus dem Schlosse
von Amiens gerettet und auf dem Grunde des Koffers geborgen hatte, noch
knapp vor der Ankunft des gestrengen Majors Krause, der solche Dinge nicht
geschehen ließ.
Nein! Theodor lebte nicht in einer Villa hinter silbrig glänzendem
Drahtgitter. Und kein Rang tröstete ihn über die Not seines Lebens. Er war ein
Hauslehrer mit gescheiterten Hoffnungen, begrabenem Mut, aber ewig
lebendigem quälendem Ehrgeiz. Frauen, mit einer süßen, lockenden Musik in
den wiegenden Hüften, gingen an ihm vorbei, unerreichbar, und er war doch
geschaffen, sie zu besitzen. Als Leutnant hätte er sie besessen, alle, auch die
junge Frau Efrussi, die zweite Gattin des Juweliers.
Wie ferne war sie, aus jener großen Welt kam sie, in die Theodor beinahe
schon gelangt wäre. Sie war eine Dame, jüdisch, aber eine Dame. In der
Uniform eines Leutnants hätte er ihr entgegentreten müssen, nicht im Zivil
des Hauslehrers. Er hatte einmal, in seiner Leutnantszeit, auf Urlaub in Berlin,
ein Abenteuer mit einer Dame. Man konnte schon sagen: Dame; Gattin eines
Zigarrenhändlers, der in Flandern stand; seine Photographie hing im
Speisezimmer; violette Unterhöschen trug sie. Es waren die ersten violetten
Unterhöschen in Theodors männlichem Dasein.
Was ahnte er jetzt von Damen! Sein waren die kleinen Mädchen für billiges
Geld, die hastige Minute kalter Liebe im nächtlichen Dunkel des Hausflurs, in
der Nische, umflattert von der Furcht vor dem zufällig heimkehrenden
Nachbarn, die Lust, die in der Angst vor dem überraschenden Schritt erlosch,
wie die Glut erkaltet, die roh in Flüssigkeit geschleuderte; sein war das
barfüßige einfache Mädel aus dem Norden, das Weib mit den eckigen,
harthäutigen Händen, deren Liebkosung rauh war, deren Berührung abkühlte,
deren Wäsche schmutzig, deren Strümpfe durchschwitzt waren.
Nicht von seiner Welt war sie, die Frau Efrussi. Während er ihre Stimme
hörte, fiel ihm ein, daß sie gut sein müsse. Niemand hatte ihm so viel Schönes
so einfach und herzlich gesagt. Sie verstehn es vortrefflich, Herr Lohse!
Gefällt es Ihnen hier? Fühlen Sie sich wohl bei uns? Oh, wie war sie gut,
schön, jung. Theodor hätte sich so eine Schwester gewünscht.
Einmal erschrak er, als sie aus einem Laden trat. Als wäre es plötzlich in
ihm hell geworden, erinnerte er sich in diesem Augenblick, daß er auf dem
ganzen Wege ihrer gedacht hatte.
Es erschreckte ihn die Entdeckung, daß sie in ihm lebte, daß er wider
Willen und ohne es zu wissen stehengeblieben war, daß er ihre Einladung
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Das Spinnennetz
- Title
- Das Spinnennetz
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1923
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 93
- Keywords
- Roman, Geschichte
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 10
- Kapitel 3 14
- Kapitel 4 17
- Kapitel 5 21
- Kapitel 6 24
- Kapitel 7 30
- Kapitel 8 32
- Kapitel 9 36
- Kapitel 10 39
- Kapitel 11 42
- Kapitel 12 44
- Kapitel 13 47
- Kapitel 14 50
- Kapitel 15 52
- Kapitel 16 54
- Kapitel 17 57
- Kapitel 18 59
- Kapitel 19 61
- Kapitel 20 64
- Kapitel 21 67
- Kapitel 22 69
- Kapitel 23 73
- Kapitel 24 76
- Kapitel 25 79
- Kapitel 26 81
- Kapitel 27 83
- Kapitel 28 86
- Kapitel 29 89
- Kapitel 30 92