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Theodor begab sich in die »Germania«, in deren Lesesaal der Germanist
Spitz einen Vortrag über Rassenprobleme hielt. Wilhelm Tiedemann und
andere vom Bunde deutscher Rechtshörer waren anwesend. Zuerst las
Tiedemann den Brief. Auf seine Einsicht konnte sich Theodor verlassen. Und
Tiedemann war ebenso wie Theodor überzeugt, daß Ludendorff seines neuen
Freundes Persönlichkeit schon längere Zeit kennen mußte.
Alle sagten es Theodor, alle waren seine Freunde. Aus aller Augen strömte
ihm Liebe entgegen. Jedes einzelnen Herzschlag hörte er, und das Pochen
ihrer Herzen war die Sprache der Freundschaft. Er lud sie ein. Er legte seinen
Arm um Tiedemanns Schultern. Man trank auf Kosten Theodors. Man ließ
ihn hochleben. Er sprach viel, und noch mehr fiel ihm ein. Als er fortging,
trug er ein gewaltiges Geräusch seiner eigenen Worte davon.
Der nächste Morgen brachte ihm eine Einladung zum Detektiv Klitsche. Er
hätte keine Briefe zu schreiben. An Ludendorff am allerwenigsten. Noch
weniger hätte er darüber reden sollen. Er wäre nicht der einzige im Bunde der
Rechtshörer, der zur Organisation gehörte, und jedes Wort, das er gestern
gesagt, war Klitsche hinterbracht worden.
»Geben Sie den Brief her!« sagte Klitsche.
Theodor wurde rot. Flammende Räder kreisten vor seinen Augen. Er war
plötzlich der kleine Einjährige und stand im Kasernenhof. Er nahm
vorschriftsmäßig stramme Stellung an. Er war ein kleiner Einjähriger mit der
Aussicht auf einen Gefreitenknopf.
Er gab den Brief her. Klitsche steckte ihn ein. Er befahl:
»Ziehen Sie sich aus!«
Und Theodor zog sich aus. Als wäre es ganz selbstverständlich, zog er sich
aus. Er dachte daran, daß er Klitsche gehorchen müsse.
Und langsam und gleichgültig zog er sich wieder an, so langsam und
gleichgültig wie in seinem Zimmer des Morgens, wie alle Tage.
Es war Frühling in den Straßen, es zwitscherten übermütige Vögel, die
Straßenbahnen klingelten, die Luft war blau, die Frauen trugen leichte
Kleider.
Theodor möchte krank sein und ein kleiner Junge und in seinem Bett
liegen. Er trank in Schnapsbuden zweiten Ranges und schlief mit Mädchen
vom Potsdamer Platz, weil sein Geld zur Neige ging. Und als er nichts mehr
hatte, empfand er die rauschende Buntheit der Straße tausendmal stärker und
seine eigene Kleinheit. Und er vergaß den Besuch bei Klitsche, wie er den
beim Prinzen Heinrich vergraben hatte. Über Abhänge und durch
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Das Spinnennetz
- Title
- Das Spinnennetz
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1923
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 93
- Keywords
- Roman, Geschichte
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 10
- Kapitel 3 14
- Kapitel 4 17
- Kapitel 5 21
- Kapitel 6 24
- Kapitel 7 30
- Kapitel 8 32
- Kapitel 9 36
- Kapitel 10 39
- Kapitel 11 42
- Kapitel 12 44
- Kapitel 13 47
- Kapitel 14 50
- Kapitel 15 52
- Kapitel 16 54
- Kapitel 17 57
- Kapitel 18 59
- Kapitel 19 61
- Kapitel 20 64
- Kapitel 21 67
- Kapitel 22 69
- Kapitel 23 73
- Kapitel 24 76
- Kapitel 25 79
- Kapitel 26 81
- Kapitel 27 83
- Kapitel 28 86
- Kapitel 29 89
- Kapitel 30 92