Page - 71 - in Das Spinnennetz
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zischender Wucht auf die Menschen. Für ein paar Augenblicke zerstreut sich
die Menge. Dann rotten sich die Menschen wieder. Kleine Knäuel schwellen
an. Gruppen schließen sich zusammen. Ein Schuß traf den Schlauch. Auf dem
Pflaster liegen die Helme der Feuerwehr. Der Schlauch ist zerrissen.
Polizei rattert in Lastautomobilen. Das Pflaster dröhnt. Die Scheiben
zittern. Schon sind sie heruntergezerrt, zertreten, blutend, zersprengt,
entwaffnet. Arbeiter zerbrechen Karabiner über dem Knie. Frauen schwingen
Säbel, Pistolen, Gewehre.
Aus den grauen Vierteln des Nordens strömen neue Scharen, Hausgeräte
tragen sie, Schürhaken, Spaten, Axt und Schaufel. Hoch oben tackt ein
Maschinengewehr. Einer hat den Schrei ausgestoßen. Schon sind tausend zur
Flucht gewendet. Tausend Hände ziellos weisend erhoben. Von allen Dächern
starren Läufe. Von allen Dächern tackt es. Hinter jedem Mauervorsprung
hocken grüne Uniformen. An allen Fenstern glotzen schwarze Mündungen.
Jemand ruft: »Soldaten!«
Es hallt der Trott genagelter Stiefel auf dem Asphalt. Besetzt sind die
Häuser. Die Fenster Schießscharten, Pferde wiehern herrenlos in Hausfluren,
Kommandorufe knallen. Rüstungen rasseln.
Theodor wartet am Alexanderplatz. Seine Kompanie wartet. Er drückt sich
an ein geschlossenes Haustor. Seine Kompanie hockt auf dem Bürgersteig.
Ein berittener Polizist meldet ihm Sturm auf Rathaus und Polizei. Theodor
marschiert ab.
Es wird ein harter Kampf sein. Er wird fallen. Er möchte weinen. An der
Spitze marschiert er. Der gleichmäßige Schritt seiner Leute erfüllt sein Ohr.
Jetzt wird er sterben. Noch fühlt er den lieblichen Druck eines weichen
Frauenkörpers von gestern nacht.
Um Rathaus und Polizei kämpft eine Arbeiterwehr. Ihr Anführer ist ein
Mann mit wehendem Haar, mit einem Knotenstock in der Faust. Jetzt reißt er
einem Arbeiter das Gewehr aus der Hand und legt an. Theodor wirft sich zu
Boden. In eine Kotlache fällt er. Schmutziges Wasser spritzt auf. Er schießt
liegend, aufs Geratewohl. Seine Leute rennen vor. Er sieht nichts mehr, vor
sich nur die Schwelle des Trottoirs, darüber die Fläche eines quadratischen
Steines. Eine Detonation erschreckt ihn. Menschenknochen wirbeln durch die
Luft. Ein Beinstumpf fällt blutend aus der Höhe. Ein Stiefel mit einem Fuß
darin.
Es brennt. Man riecht den Brand. Sieht eine Rauchwolke, gegen den Regen
kämpfend, aufsteigen. Theodor springt auf. Rennt. Es brennt im Judenviertel.
Hausgeräte fliegen aus Fenstern schmutziger Häuser. Menschen fliegen mit.
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Das Spinnennetz
- Title
- Das Spinnennetz
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1923
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 93
- Keywords
- Roman, Geschichte
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 10
- Kapitel 3 14
- Kapitel 4 17
- Kapitel 5 21
- Kapitel 6 24
- Kapitel 7 30
- Kapitel 8 32
- Kapitel 9 36
- Kapitel 10 39
- Kapitel 11 42
- Kapitel 12 44
- Kapitel 13 47
- Kapitel 14 50
- Kapitel 15 52
- Kapitel 16 54
- Kapitel 17 57
- Kapitel 18 59
- Kapitel 19 61
- Kapitel 20 64
- Kapitel 21 67
- Kapitel 22 69
- Kapitel 23 73
- Kapitel 24 76
- Kapitel 25 79
- Kapitel 26 81
- Kapitel 27 83
- Kapitel 28 86
- Kapitel 29 89
- Kapitel 30 92